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Ausgleichsleistungsanspruch Fluggast bei Beförderungsverweigerung

AG Hannover – Az.: 410 C 13190/17 – Urteil vom 07.09.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger beanspruchen von dem beklagten ausführenden Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Spanien wegen behaupteter Beförderungsverweigerung Ausgleichsleistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO).

Die Kläger verfügten im Rahmen einer von ihnen gebuchten Flugpauschalreise über Boardingpässe für den von der Beklagten am 8. September 2017 um 11:30 Uhr auszuführenden Flug von Barcelona nach Hannover mit der Flugnummer … . Planmäßige Ankunftszeit dieses Fluges war 14:05 Uhr. Nach Ziff. 10.3 der Transportbedingungen der Beklagten endet das Boarding 20 Minuten vor dem Abflug.

Am besagten Flugtag trafen die Kläger am Flughafen Barcelona ein. Die zeitlichen Einzelheiten hierzu sind zwischen den Parteien im Streit. Sie gaben ihr Gepäck auf und erhielten Boardingkarten überreicht, auf denen auf Englisch wie Spanisch der Hinweis aufgedruckt war, dass sie sich 30 Minuten vor dem Abflug zum Boarding einzufinden haben und das Boarding 20 Minuten vor dem Abflug endet.

Im weiteren Verlauf fand eine Flugbeförderung der Kläger nicht statt. Die Gründe hierfür sind zwischen den Parteien im Streit. Stattdessen buchten die Kläger einen Ersatzflug bei der Lufthansa AG, der über München nach Hannover führte, wo sie am 8. September 2017 um 22:55 Uhr landeten.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 19. September 2017 forderten die Kläger die Beklagte unter erfolgloser Fristsetzung bis zum 4. Oktober 2017 zur Zahlung einer Ausgleichsleistung nach der FluggastrechtVO auf.

Die Kläger behaupten, gegen 9 Uhr am Flughafen angekommen und gegen 9:30 Uhr sich in die Warteschlange zur Gepäckaufgabe angestellt zu haben. Gegen 10:30 Uhr seien sie sodann im Boarding-Bereich gewesen. Das Boarding sei jedoch unmittelbar, bevor sie an der Reihe gewesen seien, abgebrochen worden. Als Begründung sei ihnen mitgeteilt worden, dass das Flugzeug voll sei, sie – wie auch zwölf weitere betroffene Fluggäste – daher nicht mitgenommen werden könnten und dass ein Rückflug nach Hannover mit der Beklagten erst wieder am 21. September 2017 möglich sei.

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) € 250,- und an den Kläger zu 2) € 250,- zu zahlen, jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 5. Oktober 2017.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet unter Verweis auf eingereichte Ausdrucke aus ihrem Buchungssystem, dass der streitbefangene Flug nicht überbucht, sondern von insgesamt 144 Sitzplätzen im verwendeten Airbus A319 lediglich 137 Sitzplätze belegt gewesen seien. Die Kläger seien vielmehr unpünktlich, d.h. nicht bis spätestens um 11:10 Uhr am Flugsteig erschienen, wobei die Beklagte bestreitet, dass die Kläger sich rechtzeitig dort eingefunden hätten. In ihrer EDV sei – unstreitig – ein „no show“ vermerkt. Die Koffer der Kläger seien denn auch – unstreitig – wieder entladen worden.

Wegen des Vortrages im Übrigen und Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Die Kläger haben keine Ausgleichsansprüche gegen die Beklagte gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO wegen einer Beförderungsverweigerung am 8. September 2017.

Nach Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO hat das ausführende Luftfahrtunternehmen unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 der Verordnung zu erbringen, wenn Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert wird. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) FluggastrechteVO besteht die Ausgleichsleistung in einer Ausgleichszahlung in Höhe von € 250,- bei allen Flügen über eine Entfernung von – wie unstreitig hier – 1.500 km oder weniger. Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen im Streitfall nicht vollständig vor.

1. Allerdings gehen die Kläger zutreffend davon aus, dass der Anwendungsbereich der FluggastrechteVO eröffnet ist; der abweichenden Ansicht der Beklagten folgt das Gericht nicht.

Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit a) FluggastrechteVO gilt die Verordnung für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des AEUV unterliegt, einen Flug antreten. Als weitere Anwendbarkeitsbedingung sieht Art. 3 Abs. 2 lit a) FluggastrechteVO vor, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Art. 5 der Verordnung – sich wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung oder, falls keine Zeit angegeben wurde, spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden. Unter „Abfertigung“ im Sinne des Art. 3 Abs. 2 lit a) FluggastrechteVO ist – wie die englische Fassung der FluggastrechteVO erhellend aufzeigt – umgangssprachlich der sog. Check-In zu verstehen (vgl. AG Hamburg, Beschl. v. 12.12.2017, 19 C 45/17, Rn. 5; AG Charlottenburg, Urt. v. 21.04.2009, 226 C 331/08, Rn. 3 – juris; Schmid in: BeckOK Fluggastrechte-VO, 7. Ed. 01.07.2018, Art. 3 Rn. 38), bei dem etwaiges Gepäck auf- und Boardingkarten dem Fluggast ausgegeben werden. Der Check-In erfolgt für gewöhnlich an den Abfertigungsschaltern im öffentlichen Bereich des Flughafens und nur ausnahmsweise am Flugsteig, dem sog. Gate (vgl. Schmid in: BeckOK Fluggastrechte-VO, 7. Ed. 01.07.2018, Art. 3 Rn. 32).

Diese Anwendbarkeitsvoraussetzungen liegen im Streitfall vor. Der Abflughafen Barcelona ist auf dem Gebiet des Königreichs Spanien belegen, welches dem AEUV unterfallender Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Die Kläger, die unstreitig eine bestätigte Buchung für den streitbefangenen Flug gehabt haben, fanden sich am streitbefangenen Flugtag auch rechtzeitig zur Abfertigung am Flughafen Barcelona ein und traten in diesem Sinne den Flug an. Sie gaben unstreitig ihr Gepäck auf und ihnen wurden unstreitig die in Kopie als Anlagen 1 und 2 (Bl. 4 d. A.) eingereichten Boardingkarten ausgehändigt. Die Beklagte hat zwar alle von den Klägern behaupteten Zeitangaben bestritten, aber nicht – schon gar nicht substantiiert unter Vortrag zum Zeitpunkt der Gepäckaufgabe und des Ausdrucks der Bordkarten – bestritten, dass die Kläger rechtzeitig, also spätestens 45 Minuten vor planmäßiger Abflugzeit zum Check-In erschienen seien. Darauf, ob ein ausführendes Luftfahrtunternehmen treuwidrig (§ 242 BGB) handelt, wenn es sich trotz – wie hier – durchgeführter Abfertigung nachträglich auf die Unpünktlichkeit des Fluggastes beruft (so Staudinger in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 3 Rn. 10; Schmid in: BeckOK Fluggastrechte-VO, 7. Ed. 01.07.2018, Art. 3 Rn. 38), kommt es im Streitfall demnach nicht an und kann dahinstehen.

Soweit die Beklagte demgegenüber meint, die Anwendbarkeit der FluggastrechteVO scheitere daran, dass die Beklagten – was zwischen den Parteien streitig ist – sich nicht (zur angegebenen Boardingzeit) am Flugsteig (Gate) eingefunden hätten, kann dem nicht beigetreten werden. Diese Sichtweise wird der rechtlich notwendigen Differenzierung zwischen Einfinden am Flugsteig zwecks Boarding im Sinne von Art. 2 lit. j) FluggastrechteVO und dem Einfinden zur Abfertigung (Check-In) im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit a) FluggastrechteVO nicht gerecht. Anders als die deutsche Fassung der FluggastrechteVO kommt insbesondere in der englischen Fassung dieser Unterschied durch Verwendung der Begrifflichkeiten „presented themselves for boarding“ (Art. 2 lit j) FluggastrechtevO) einerseits und „present themselves for check-in“ (Art. 3 Abs. 2 lit a) FluggastrechteVO) andererseits deutlicher zum Ausdruck. Eine Gleichsetzung verbietet sich.

2. Die Nichtbeförderung im Sinne von Artt. 4 Abs. 3, 2 lit j) FluggastrechteVO als weitere Voraussetzung für den von den Klägern geltend gemachten Ausgleichsanspruch ist allerdings nicht festzustellen.

a) Nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. j) FluggastrechteVO ist eine (ausgleichspflichtige) Nichtbeförderung die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten – oben dargestellten – Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z.B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen.

Was unter dem Einfinden am Flugsteig „unter den Bedingungen des Art. 3 Abs. 2″ der Verordnung“ zu verstehen ist, etwa ein – gesetzestechnisch redundanter – Hinweis auf die allgemeinen Anwendbarkeitsvoraussetzung des rechtzeitigen Einfindens zur Abfertigung (so Steinrötter in: BeckOKG, Stand 15.06.2018, Fluggastrechte-VO Art. 2 Rn. 66 ff.; ebenso wohl BGH, Urt. v. 30.04.2009, Xa ZR 78/08, Rn. 21 – juris), welches als Check-In dem Einfinden am Flugsteig zwecks Boarding vorausgeht, oder ein eigenständiger Regelungscharakter des Verweises dahingehend, dass in sachlicher Entsprechung zum Check-In besonders vorgegebene Boardingzeiten maßgeblich und einzuhalten sind, kann hier dahinstehen. Unabhängig von der Verbindlichkeit einer Boardingzeitvorgabe muss ein Fluggast, der einen Anspruch wegen Nichtbeförderung geltend machen will, grundsätzlich bis zum Ende des Einsteigevorgangs am Flugsteig zwecks Boarding anwesend gewesen sein (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2012, C-321/11, Rn. 19 – Rodriguez Cachafeiro; BGH, Beschl. v. 16.04.2013, X ZR 83/12, Rn. 8; Urt. v. 30.04.2009, Xa ZR 78/08, Rn. 9; Urt. v. 28.08.2012, X ZR 128/11, Rn. 13 – juris). Dies ist zwanglos Art. 2 lit j) FluggastrechteVO zu entnehmen. Bei einem Nichterscheinen am Flugsteig oder Erscheinen erst nach Beendigung des Boardings und infolgedessen ausgebliebener Beförderung kann von einer Beförderungsverweigerung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht gesprochen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 16.04.2013, X ZR 83/12, Rn. 11 – juris; Staudinger in: Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 4 Rn. 15).

b) Von dem hiernach erforderlichen rechtzeitigen Einfinden der Kläger am Flugsteig zwecks Boarding kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Die Kläger sind für ihre diesbezügliche Behauptung, die die Beklagte hinreichend bestritten hat, beweisfällig geblieben. Die Darlegungs- und Beweislast für diese anspruchsbegründende Tatsache liegt nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen jedoch bei dem Fluggast als Anspruchsteller (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2007, VI ZR 231/06, Rn. 21 – juris), also den Klägern. Dass die Darlegungs- und Beweislast für das rechtzeitige Einfinden zur Abfertigung beim Flugpassagier liegt, ist anerkannt (vgl. Schmid in: BeckOK Fluggastrechte-VO, 7. Ed. 01.07.2018, Art. 3 Rn. 33). Für das Einfinden am Flugsteig zwecks Boarding kann nichts Anderes gelten.

aa) Das Bestreiten der Beklagten ist prozessual hinreichend. Sie hat sich, wie § 138 Abs. 2 ZPO es erfordert, zu der von den Klägern behaupteten Tatsachen des Einfindens zum Boarding erklärt. Ihr mit Unterlagen aus ihrem Buchungssystem belegtes Bestreiten ist ausreichend substantiiert. Auf die klägerische Aufforderung zur Namhaftmachung aller deutschen Passagiere des Fluges VY 1890 ist die Beklagte zwar nicht ausdrücklich eingegangen und hat die Passagiere nicht namentlich aufgeführt. Zu einem weitergehenden Bestreiten, nämlich der Nennung der beförderten Flugpassagiere, damit die Kläger jene als Zeugen benennen können, ist die Beklagte entgegen der Ansicht der Kläger prozessual aber nicht gehalten.

aaa) Aus § 138 ZPO lässt sich eine Verpflichtung der Beklagten zur Nennung der Passagiere nicht herleiten. Insbesondere ergibt sich Entsprechendes nicht aus den anerkannten prozessualen Grundsätzen zur sog. sekundären Darlegungslast des Gegners. Hiernach muss die an sich beweisbegünstigte Partei dann ein (nur pauschales) Vorbringen des darlegungsbelasteten Gegners substantiiert bestreiten, wenn dieser außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während die andere Partei sie kennt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2007, X ZR 87/06, Rn. 46 – juris; Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 138 Rn. 8b). Die Zumutbarkeit für einen erweiterten Sachvortrag der beweisbegünstigten Partei setzt indes stets besondere Anknüpfungspunkte im vorangegangenen Handeln der beweisbegünstigten Partei oder ihren persönlichen Verhältnissen und Beziehungen zum Gegner voraus. Der Umstand, dass die Darlegung im Einzelfall der beweisbelasteten Partei wesentlich schwerer fällt als ihrem Gegner, genügt für sich nicht, eine erweiterte Darlegungslast aufzuerlegen. Denn grundsätzlich ist keine Partei – über materiell-rechtliche Auskunftspflichten hinaus – verpflichtet, dem Gegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.1996, IX ZR 293/95, Rn. 17 – juris).

Letztlich kommt es auf die Grenzen der sekundären Darlegungslast nicht an. Die Benennung von Zeugen mit den nach § 373 ZPO notwendigen Angaben, also Name und ladungsfähige Anschrift, wie die Kläger es von der Beklagten verlangen, ist seiner Natur nach bereits kein Sachvortrag im vorstehenden prozessualen Sinne, sondern Bestandteil der sich daran anschließenden Beweisführung. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast finden hierauf keine Anwendung (vgl. BGH, Urt. v. 17.01.2008, III ZR 239/06, Rn. 18 – juris; Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Vorbem. zu § 284 Rn. 34).

bbb) Eine Pflicht zur Namhaftmachung der weiteren Passagiere ergibt sich auch nicht aus etwaigen materiell-rechtlichen Informationsansprüchen der Kläger. Ebensolche haben die Kläger weder erkennbar vorprozessual noch als weiteren Streitgegenstand in objektiver Klagehäufung (§ 260 ZPO) innerprozessual verfolgt.

Es ist aber auch nicht erkennbar, dass den Kläger ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Mitteilung der Flugpassagierdaten zustünde. Mangels direkter vertraglicher Beziehung der Parteien kommt eine Mitteilungspflicht nicht als – dahingestellte – Nebenpflicht aus einem Flugbeförderungsvertrag (§§ 631, 241 Abs. 2 BGB) in Betracht, falls überhaupt deutsches und nicht spanisches Recht zur Anwendung käme. Auch eine gesetzliche Anspruchsgrundlage ist nicht zu erkennen. Die FluggastrechteVO sieht keinen Anspruch des Flugpassagiers auf Mitteilung von Passagierdaten vor. Art. 14 FluggastrechteVO beschränkt die Informationspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens auf schriftliche Hinweise zu den Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen nach der FluggastrechteVO. Ein Auskunftsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 242 BGB, der auf gesetzliche Schuldverhältnisse – wie das hiesige – grundsätzlich anwendbar ist. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben nur abzuleiten, wenn zwischen den Parteien eine Rechtsbeziehung besteht, bei der der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, während der Verpflichtete die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte unschwer erteilen kann (BGH, Urt. v. 09.11.2011. XII ZR 136/09, Rn. 20 f. – juris). Davon abgesehen, dass das Wissensdefizit der Kläger nicht auf Tatsachen zum Bestehen oder den Umfang des von ihnen geltend gemachten Rechts bezogen ist, sondern auf Beweismittel zur Rechtsdurchsetzung, fehlt es jedenfalls an dem erforderlichen Entschuldigungsmoment. Die Beweisnot der Kläger ist selbst verursacht, weil sie naheliegende und objektiv gebotene Beweissicherungsmaßnahmen unterlassen haben. Nach ihrem eigenen Vortrag soll neben ihnen noch sechs weiteren Pärchen, also weiteren 12 Flugpassagieren der Zustieg verweigert worden sein. Ausgehend hiervon hätten die Kläger sich die Namen und Anschriften dieser Zeugen geben lassen können und müssen. Auch hätten sie die Namen der sie behaupteter Weise abweisenden Mitarbeiter der Beklagten notieren und eine schriftliche Bestätigung vor Ort zum Urkundsbeweis verlangen können. Dass sie, wie sie mit nachgereichtem Schriftsatz vom 14. August 2018 anführen, situativ am 8. September 2017 „nicht im Traum“ darauf gekommen seien, dass die Beklagte die Beförderungsverweigerung später in Abrede nehmen würde, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Schon der Ausgangspunkt dieses Arguments, nämlich die klare und eindeutige Beförderungsverweigerung, vermag nicht zu greifen, weil die Beförderungsverweigerung nicht feststeht.

bb) Für ihre demnach wirksam bestrittene Behauptung, sich zur Boardingzeit am Flugsteig eingefunden und in die Warteschlange gestellt zu haben, sind die Kläger beweisfällig geblieben.

aaa) Insofern haben die Kläger – anders als der Terminsbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vertreten hat – nicht bereits einen zureichenden Anscheinsbeweis geführt, weil anzunehmen sei, dass ein Fluggast, der – wie hier unstreitig – den Check-In durchgeführt hat, anschließend typischerweise auch zum Boarding erscheint. Ein solcher Anscheinsbeweis ist nicht anzuerkennen. Insofern fehlt – wie schon der Existenz der Regelung der Art. 2 lit. j), 3 Abs. 2 lit a) FluggastrechteVO entnommen werden kann – der hierfür erforderliche Satz der Lebenserfahrung (vgl. Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 286 Rn. 23).

bbb) Soweit die Kläger Zeugenbeweis durch von der Beklagten nahmhaft zu machende „deutsche Passagiere des Fluges“ angetreten haben, ist dieser Beweisantrag nicht gemäß § 373 ZPO ordnungsgemäß gestellt. Erforderlich hierfür ist die namentliche Benennung des Zeugen und die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift (vgl. nur Damrau in: Münchener Kommentar z. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 373 Rn. 18). Daran fehlt es hier. Zur Ergänzung des klägerischen Beweisantritts war die Beklagte – wie ausgeführt – nicht gehalten.

ccc) Die Kläger waren nicht, wie von ihnen beantragt, nach § 447 ZPO als beweispflichtige Partei zu vernehmen. Nach § 447 ZPO kann das Gericht die beweispflichtige Partei über eine streitige Tatsache vernehmen, wenn eine Partei es beantragt und die andere damit einverstanden ist. Ein entsprechendes Einverständnis hat die Beklagte nicht erklärt.

Ausgleichsleistungsanspruch Fluggast bei Beförderungsverweigerung
(Symbolfoto: Von Song_about_summer/Shutterstock.com)

ddd) Die Kläger waren auch nicht von Amts wegen als Partei gemäß § 448 ZPO zu vernehmen. Hierfür ist erforderlich, dass bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der umstrittenen Behauptung erbracht ist (sog. Anbeweis) und das Gericht durch die Parteivernehmung (nur noch) die Ausräumung seiner restlichen Zweifel bzw. positiv formuliert die Gewinnung letzter Klarheit erwartet (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 448 Rn. 2; Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 448 Rn. 3). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn sich die streitigen Behauptungen beweislos gegenüberstehen, denn es ist nicht Zweck des § 448 ZPO, eine nachteilige Entscheidung für die beweisbelastete, aber völlig beweislose Partei zu vermeiden (vgl. Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 448 Rn. 1).

An einem solchen Anbeweis fehlt es hier. Das Gericht hält den klägerischen Vortrag nach der Lebenserfahrung zwar für durchaus möglich. Es ist ungewöhnlich, dass Passagiere einchecken, sodann aber nicht zum Boarding erscheinen. Dasselbe trifft umgekehrt aber auch auf den Beklagtenvortrag zu. Es liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass eingecheckte Passagiere das Boarding aus Schusseligkeit verpassen, etwa weil ihnen beim Besuch eines Flughafenrestaurants oder des Duty-Free-Shop-Bereichs die Boardingzeit aus dem Sinn kommt. Allein die Möglichkeit, dass es sich so zugetragen haben kann, wie die Kläger es behaupten, reicht für eine Parteivernehmung von Amts wegen indes nicht, wenn sonstige gewichtige Umstände für die Richtigkeit dieses Parteivortrages fehlen (vgl. BGH, Urt. v. 23.02.1994, IV ZR 58/93, Rn. 12 – juris; Schreiber in: Münchener Kommentar z. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 448 Rn. 3; missverständlich Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 448 Rn. 3). Solche Beweisindizien fehlen hier und auch sonst ist in Gesamtwürdigung des Prozessverhaltens, der allgemeinen Erfahrungssätze, der Persönlichkeit der Parteien und des unstreitigen Sachvortrages auf die Richtigkeit des Klagevortrags nicht mit einer hinreichenden Anfangswahrscheinlichkeit zu schließen. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, erschiene es zwar sehr erstaunlich, dass Passagiere, die das Boarding verpasst haben, anschließend in dreister und betrügerischer Weise eine Klage auf Ausgleichsleistung erheben. Eine solche Verhaltensweise mag das Gericht mangels darauf eindeutig hindeutender Anhaltspunkte den Klägern nicht unterstellen. Umgekehrt erschiene es aber auch überaus bemerkenswert, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen bewusst die Daten in seinem Buchungssystem manipulierte, um sich – aus seiner Perspektive – einer Bagatellforderung wie der hiesigen im Wege des Prozessbetruges zu entziehen. Auch dies mag das Gericht nicht unterstellen.

Nichts Anderes ergibt sich schließlich im Hinblick auf die Beweisnot der Kläger. Diese kann im Streitfall schon deswegen für die Anwendbarkeit des § 448 ZPO nicht ausschlaggebend sein (generell ablehnend Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 448 Rn. 4a; anders Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 448 Rn. 3a), weil die Beweisnot – wie bereits ausgeführt – von den Klägern selbst herbeigeführt worden ist, ursprünglich objektiv aber nicht vorlag. Zeugendaten hätten sie selbst sichern können. Im Übrigen läuft die Sichtweise der Kläger, einen milderen Maßstab anzulegen, den anerkannten prozessualen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast zuwider, denn sie würde die vorprozessual besonders sorglos oder sogar naiv auftretende Partei, die sich über Beweissicherungsmaßnahmen keine Gedanken gemacht und ohne Beweismittel in der Hand zu haben klagt, ungerechtfertigt begünstigen.

eee) Unter Berücksichtigung der hiesigen Einzelfallumstände ist anstelle einer Parteivernehmung auch keine grundsätzlich mögliche und in Fällen der Beweisnot regelhaft gebotene Parteianhörung nach § 141 ZPO veranlasst gewesen (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 141 Rn. 3a). Diese kann zwar einen Anbeweis im Sinne von § 448 ZPO erbringen oder sogar direkt zur richterlichen Überzeugung führen. Doch liegt hier schon kein klassischer Fall der anfänglichen Beweisnot vor, wie es etwa bei einem durchgeführten Vier-Augen-Gespräch der Fall ist. Das sog. Gebot der Waffengleichheit greift folglich nicht. Außerdem ist zu sehen, dass einer persönlichen Anhörung wegen der von den Klägern offenkundig verfolgten Eigeninteressen nur ein geringer zusätzlicher Erkenntniswert zukäme, vor allem aber ihrem Vortrag weiterhin der qualifizierte Beklagtenvortrag entgegenstünde, d.h. die Ausdrucke aus deren Buchungssystem, die auf einen anderen Geschehensablauf hindeuten. Um eine prozessrechtlich unzulässige Beweisantizipation (vgl. Greger in: Zöller, ZOP, 32. Aufl. 2018, Vor § 284 Rn. 10a) handelt es sich hierbei nicht, weil die Parteianhörung kein Beweismittel des Strengbeweisverfahrens ist und eine Beweisaufnahme auch nicht ersetzt (vgl. Fritsche in: Münchener Kommentar z. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 141 Rn. 5 f.).

cc) Das Gericht ist schließlich und in Anknüpfung an Obiges auch nicht ohne Beweisaufnahme allein auf Grundlage des unstreitigen Sachvortrages wie auch der Behauptungen der Kläger gemäß § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass die Kläger sich rechtzeitig am Flugsteig einfanden.

Auch eine sich im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 286 Abs.1 ZPO zugunsten der Kläger auswirkende Beweisvereitelung folgt aus dem Prozessverhalten der Beklagten nicht. Die Weigerung der nicht beweispflichtigen Partei, einen nur ihr bekannten Zeugen ohne triftigen Grund namhaft zu machen, kann im Rahmen der Beweiswürdigung als Beweisvereitelung zwar zu deren Lasten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urt. v. 17.01.2008, III ZR 239/06, Rn. 18 – juris). Beweisvereitelung setzt jedoch voraus, dass die Partei ihrem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Das Verschulden muss sich dabei sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts als auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen. Als Folge der Beweisvereitelung kommen in solchen Fällen Beweiserleichterungen in Betracht, die unter Umständen bis zur Umkehr der Beweislast gehen können, wobei jedoch alle Umstände des Falles zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2005, VIII ZR 43/05, Rn. 23; Urt. v. 17.01.2008, III ZR 239/06, Rn. 23 – juris).

Eine schuldhafte Beweisvereitelung in diesem Sinne, d.h. eine Nichtmitteilung der Passagierdaten durch die Beklagte ohne triftigen Grund, ist im Streitfall nicht zu erkennen. Wenngleich sich die Beklagte hierauf nicht ausdrücklich berufen hat, ist ihr schon mit Blick auf den sie zugunsten ihrer Kunden unzweifelhaft treffenden Datenschutz nicht als missbilligend vorzuwerfen, dass sie einem anderen (prozessierenden) Passagier keine umfassende Auskunft gibt. Unabhängig davon liegt keine Beweisvereitelung vor, wenn die Unmöglichkeit oder die Erschwerung der Beweisführung nicht von Handlungen des Gegners ausgeht, sondern vom Beweisführer selbst verursacht wurde (vgl. BSG, Urt. v. 10.08.1993, 9/9a RV 10/92, Rn. 15 – juris; Prütting in: Münchener Kommentar z. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 286 Rn. 82; Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 444 Rn. 2). So verhält es sich aber hier.

II. Fehlt es nach Vorstehendem an einem Hauptanspruch, können die Kläger auch keine darauf entfallenden Zinsen mit Recht von der Beklagten beanspruchen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 709 Satz 2, 711 ZPO.

 

 

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