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Betriebsschließungsversicherung – Coronavirus SARS-COV-2

Oberlandesgericht Naumburg – Az.: 4 U 164/20 – Urteil vom 01.07.2021

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06.10.2020 verkündete Grundurteil des Landgerichts Magdeburg, Geschäftsnummer 31 O 45/20, abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten beider Instanzen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:

Der Streitwert der Berufung wird auf die Gebührenstufe bis 65.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit behördlichen Anordnungen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-COV-2 auf Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung in Anspruch.

Zum Sach- und Streitstand in 1. Instanz, der dort gestellten Anträge, der Entscheidung des Landgerichts und deren Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (Bd. I Bl. 89 ff der Akte).

Der maßgebliche Inhalt der für das streitgegenständliche Versicherungsverhältnis geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr bei Menschen (Betriebsschließungsversicherung) – BS 2008 lautet:

§ 23 Gegenstand der Versicherung

Ist der Versicherte Betrieb von behördlichen Anordnungen (siehe § 25) aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) betroffen, ersetzt der Versicherer den dadurch entstehenden Schaden.

§ 25 Versicherte Gefahren und Schäden

1. Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverbote

Der Versicherer leistet bis zu den in § 30 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 4)

untersagt (Tätigkeitsverbote).

4. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

… (Liste einzelner Krankheiten)

b) Krankheitserreger:

… (Liste einzelner Krankheitserreger)

5. Nichtversicherte Gefahren und Schäden

c) Der Versicherer haftet nicht

cc) bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf

Betriebsschließungsversicherung - Coronavirus SARS-COV-2
(Symbolfoto: Marc Bode/Shutterstock.com)

Die Liste der Krankheiten und Krankheitserreger, auf welche wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, erwähnt weder COVID 19 noch SARS-COV-2. Mit dem Versicherungsschein wurde der Klägerin auch ein Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz überlassen, der dessen §§ 6, 7, 25, 29 und 42 a. F. enthält.

Gegen das Urteil, mit dem das Landgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet hat, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Abweisung der Klage verfolgt.

Die Beklagte meint, in der Versicherungssparte der Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherung seien Grundurteile in der Praxis nicht statthaft. Soweit – wie im vorliegenden Fall – Schadensumfang und Schadenshöhe streitig seien, dürfe kein Grundurteil ergehen.

In der Sache berücksichtige die angefochtene Entscheidung insbesondere nicht, dass in den hier maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (BS 2008) die Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet seien, die zu Ansprüchen der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag führen können. Unter Bezugnahme auf diverse Gerichtsurteile zur Frage von Ansprüchen im Zusammenhang mit behördlichen Anordnungen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-COV-2 vertritt die Beklagte die Auffassung, die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen könne der verständige Versicherungsnehmer nur so verstehen, dass es sich bei dieser Aufzählung um eine abschließende Aufzählung der Krankheiten bzw. Krankheitserreger handelt, durch die ein Versicherungsfall eintreten soll. Der einzige Sinn der umfangreichen Aufzählung könne nur darin liegen, die Einstandspflicht der Beklagten gerade auf die dort aufgezählten Fälle zu begrenzen. Hierzu brauche es gerade auch nicht einer weiteren zusätzlichen Verdeutlichung, indem etwa nochmals betont werde, dass „nur“ die folgenden Krankheiten bzw. Krankheitserreger einen Versicherungsfall darstellten. Selbst wenn die streitgegenständlichen AVB die Krankheiten und Erreger nicht tabellarisch auflisten würden, bestünde Versicherungsschutz nur bezüglich der Krankheiten, die in § 6 und 7 Infektionsschutzgesetz namentlich, also ausdrücklich, genannt seien. Das Infektionsschutzgesetz sei erst mit Wirkung zum 23.05.2020 dahingehend geändert worden, dass COVID 19 nunmehr aufgelistet ist. Die Klägerin mache jedoch einen Schaden geltend, der durch die behauptete Schließung vom 23.03.2020 bis zum 03.05.2020 entstanden sei. Die Beklagte wiederholt im Übrigen ihren Vortrag, wonach der Betrieb der Klägerin nicht vollständig geschlossen gewesen sei und schon deshalb kein Versicherungsfall eingetreten sei. Es sei auch zweifelhaft, ob überhaupt eine wirksame behördliche Anordnung zur Schließung des Betriebs der Klägerin vorlag.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Magdeburg vom 6. Oktober 2020, 31 O 45/20 wird die Klage abgewiesen.

Hilfsweise, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens wird die Sache an das Gericht des 1. Rechtszugs zurückverwiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages aus 1. Instanz.

Ergänzend wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften in 1. und 2. Instanz Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig (§§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1, 517, 519 f. ZPO) und begründet.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Auseinandersetzung, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils in 1. Instanz vorlagen, denn der Rechtsstreit ist insgesamt entscheidungsreif und die Klage ist auf die Berufung hin abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen aus der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung nach § 1 S. 1 VVG i.V.m §§ 23-31 BS 2008. Ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht eingetreten.

Der Senat kann ohne abschließende Prüfung zugunsten der Klägerin unterstellen, dass ihr bei der Beklagten versicherter Betrieb infolge behördlicher Anordnungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen wurde (§ 23 BS 2008). Diese Schließung erfolgte jedoch nicht aufgrund einer Krankheit oder eines Krankheitserregers, dessen Auftreten nach den BS 2008 zu Regulierungspflichten der Beklagten führen kann.

Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang § 25 Nr. 4 BS 2008, der eine abschließende und damit ausschließliche Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger enthält, welche im Fall entsprechender behördlicher Anordnungen und daraus folgender Schäden bei der Beklagten eine Eintrittspflicht der Beklagten nach sich ziehen können. COVID 19 bzw. SARS-COV-2 ist in dieser Liste von Krankheiten bzw. Krankheitserregern nicht aufgeführt und kann daher nicht zu Ansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte führen (so auch für gleichlautende Bedingungen OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10. Mai 2021 – 16 U 25/21; OLG Stuttgart, Urteil vom 18. Februar 2021 – 7 U 351/20; OLG Oldenburg, Urteil vom 6. Mai 2021 – 1 U 10/21, jeweils juris).

Bei den BS 2008 der Beklagten handelt es sich um allgemeine Versicherungsbedingungen, die so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 31. März 2021 – IV ZR 221/19 –, st. Rspr.).

Nach diesem Maßstab kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht annehmen, dass der Schutz vor Schäden durch behördliche Maßnahmen aufgrund COVID 19 bzw. SARS-COV-2 vorliegend von dem Versicherungsschutz umfasst ist. Die Auffassung des Landgerichts, § 25 Nr. 4 BS 2008 enthalte eine dynamische Verweisung, findet im streitgegenständlichen Regelwerk keine Stütze. Weder bedarf der eindeutige, den Kreis der aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definierende Wortlaut der Vorschrift einer Verstärkung oder Bekräftigung, noch indiziert das Wort „namentlich“ im vorliegenden Zusammenhang, die Aufzählung sei nicht erschöpfend. Schon die Formulierung des § 25 Nr. 4 BS 2008 „die folgenden, … Krankheiten und Krankheitserreger: …“ lässt keinen Zweifel daran zu, dass die – und nur die – unter § 25 Nummer 4.a) und b) BS 2008 genannten Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz auslösen können. Der Einschub „…im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten …“, erweitert den Kreis der die Eintrittspflicht der Beklagten auslösenden Krankheiten und Krankheitserreger auch aus Sicht des verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht. Der Einschub bringt zum Ausdruck, dass die unter § 25 Nummer 4.a) und b) BS 2008 in den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes namentlich, d. h. hier mit ihrem Namen und somit ausdrücklich, genannt sind. Für ein Verständnis des Wortes „namentlich“ als „zum Beispiel“ oder „insbesondere“, lässt der hier vorliegende sprachliche Zusammenhang keinen Raum. Der Vergleich der in § 25 Nummer 4.a) und b) BS 2008 gelisteten Krankheiten und Krankheitserreger mit den in §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes aufgeführten Krankheiten und Krankheitserregern zeigt zudem, dass nicht alle in den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch in § 25 Nummer 4.a) und b) BS 2008 aufgelistet sind (es fehlt die humane spongiforme Enzephalopathie). Auch hierdurch erschließt sich für den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer angesichts der klaren Formulierung des § 25 Nr. 4 BS 2008, dass der Inhalt des Infektionsschutzgesetzes den Kreis der dem Versicherungsschutz unterfallenden Krankheiten und Krankheitserregern nicht bestimmt und nicht erweitert.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf § 315 Abs. 2 BGB berufen. Unklar im Sinne dieser Vorschrift sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt und mindestens 2 unterschiedliche Auslegungen vertretbar sind (BGH, Urteil vom 14. Juni 2017 – IV ZR 161/16). Das ist hier gerade nicht der Fall. Wie ausgeführt, ist das Ergebnis der objektiven Auslegung eindeutig. Nicht jeder, von durchaus verständlichen Interessen und Hoffnungen getragene Zweifel daran, dass die Beklagte im vorliegenden Zweifel nicht einzustehen hat, vermag die klare Aussage des § 25 Nr. 4 BS 2008 zu relativieren. Die Ausführungen des Landgerichts zu Unklarheiten des § 25 Nr. 4 BS 2008 beruhen auf der irrigen Auffassung, der dortige Text bedürfe einer Ergänzung und vermögen nicht zu überzeugen. Auch der Ausschluss des Versicherungsschutzes für Prionenerkrankungen in § 25 Nr. 5 c cc BS 2008, obwohl solche in § 25 Nr. 4 BS 2008 nicht aufgeführt sind, führt nicht zu der Auslegungsmöglichkeit, die Liste in § 25 Nr. 4 BS 2008 sei nicht abschließend. Angesichts der Auflistung in § 25 Nr. 4 BS 2008 mag § 25 Nr. 5 c cc BS 2008 als überflüssige Klarstellung erscheinen, zur Unklarheit der Regelung führt dies nicht.

Dass die Beklagte ihre Versicherungsbedingungen inzwischen geändert hat, bedeutet nicht, dass diese bislang intransparent waren.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1 S. 1, 39 Abs. 1, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG; § 3 ZPO festgesetzt.

Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor, weil der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Der Senat hat hier einen Einzelfall entschieden. Eine Grundsatzbedeutung lässt sich auch nicht darauf stützen, dass derzeit zahlreiche Klagen im Zusammenhang mit Betriebsschließung infolge der Pandemie SARS-COVID19 bundesweit bei Gerichten anhängig sind. Grundsatzbedeutung hat eine Sache nur dann, wen sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Entscheidung auf gefestigten Rechtsgrundsätzen des Versicherungsvertragsrechts sowie der danach erforderlichen tatrichterlichen Wertung der Umstände des hiesigen Einzelfalls beruht.

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