Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Az: 6 Sa 391/13
Urteil vom 06.12.2013
Leitsatz: Die Frage eines langjährigen Beschäftigten nach der Echtheit der Oberweite einer Auszubildenden und die anschließende Berührung der Brust dieser Auszubildenden stellen sexuelle Belästigungen i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG dar und berechtigen den Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung zur fristlosen Kündigung.
Auf die Berufungen der Beklagten werden die Urteile des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.02.2013 – 8 Ca 441/12 – und vom 15.08.2013 – 8 Ca 139/13 – abgeändert.
Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung und die davon abhängige Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Annahmeverzugsvergütung.
Der verheiratete Kläger ist seit dem 01.01.1982 bei der Beklagten, die regelmäßig weitaus mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, als Krankenpfleger zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von zuletzt 2.600,00 € tätig.
Am 18.10.2012 informierte die Auszubildende für den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin, Frau D., geboren 1993, die Stationsleitung und den Pflegefachleiter darüber, dass sie vom Kläger am 15. und 16.10.2012 sexuell belästigt worden sei. Der Kläger habe sie zunächst am 15.10.2012 während der Frühschicht im Frühstücksraum, in dem sie sich alleine aufgehalten hätten, auf ihre Oberweite angesprochen und gefragt, ob diese „echt“ sei und er ihre Brüste berühren dürfe. Am 16.10.2012 habe der Kläger Frau D. dann in einem Nebenraum in den Arm genommen, ihr an die Brust gefasst und versucht, sie zu küssen. Dieser Situation habe sich Frau D. entziehen können.
Die Personalabteilung der Beklagten hörte den Kläger am 18.10.2012 zu diesen Vorwürfen an. Wegen der dabei vom Kläger abgegebenen Erklärungen wird auf den Vermerk der Beklagten vom 19.10.2012 (Bl. 26 und 27 d.A.) Bezug genommen.
Am 19.10.2012 hörte die Beklagte die Auszubildende zur vom Kläger abgegebenen Stellungnahme an. Diese hielt an ihrer Sachverhaltsdarstellung fest und teilte mit, dass sie zwischenzeitlich Strafanzeige gegen den Kläger erstattet habe.
Mit Schreiben vom 24.10.2012, wegen dessen Inhalt auf Blatt 29 bis 33 der Akte Bezug genommen wird, hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur außerordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist an.
Am 25.10.2012 erklärte der Betriebsrat der Beklagten, dass er nach vorheriger Beratung die vorgesehene Kündigung des Klägers zur Kenntnis nehme. Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 01.11.2012, welches dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, die außerordentliche Kündigung, hilfsweise mit Auslauffrist zum 30.06.2013 (Bl. 6 und 7 d.A.) aus.
Seit dem 01.11.2012 zahlt die Beklagte keine Vergütung an den Kläger.
Mit seiner am 02.11.2012 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Klage – 8 Ca 461/12 – begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 01.11.2012. Mit der am 06.03.2013 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Klage – 8 Ca 139/13 nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung der Arbeitsvergütung für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis zuletzt zum 30.06.2012 abzüglich des in diesem Zeitraum erhaltenen Arbeitslosengeldes in Anspruch.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Kündigung der Beklagten vom 01.11.2012 unwirksam sei. Dazu hat er mit Schriftsatz vom 04.01.2013 zunächst behauptet, dass die volljährige Auszubildende Frau D., welche dem Kläger weder anvertraut noch untergeordnet gewesen sei, am 15.10.2012 in der Frühstückspause um ca. 8:30 Uhr begonnen habe, mit ihm zu flirten. Sie habe ihn angelächelt, ihm zugezwinkert und provokativ mehrfach ihre Brüste mit beiden Händen unterfasst und in seine Blickrichtung hochgehoben. Dies hätten auch andere Kollegen mitbekommen, die am Tisch gesessen hätten. Nachdem der Kläger mit Frau D. allein im Raum gewesen sei, habe diese unverändert ständig ihre Bürste mit den Händen hochgehoben und provokativ nach vorne gedrückt. Schließlich habe sie den Kläger gefragt: „Alles echt! Willste mal anfassen?“. Dieser Einladung sei der Kläger gefolgt und habe einmalig mit seiner linken Hand die rechte Brust von Frau D. angefasst und daraufhin geäußert, dass diese aber schön sei. Hierauf habe Frau D. erwidert: „Danke für das Kompliment! Aber das darf mein Freund nicht erfahren.“. Anschließend hätten beide den Frühstücksraum verlassen. Frau D. habe das begonnene Flirten fortgesetzt und immer dann, wenn sie dem Kläger auf der Station begegnet sei, diesen angelächelt und ihm zugezwinkert. Nach Feierabend habe sich der Kläger Gedanken gemacht und sei zum Ergebnis gekommen, dass er die von Frau D. provozierte und begonnene Affäre beenden wolle, weil er verheiratet sei. Er habe sich entschlossen, dieses so schnell wie möglich mit Frau D. zu besprechen. Am Dienstag, den 16.10.2012 habe der Kläger Frau D. dann vor der Frühstückspause im Nebenraum getroffen. Er habe ihr sofort gesagt: „Wollen wir es sein lassen?“. Frau D. habe daraufhin erwidert: „Ja, einverstanden“. Dann sei Frau D. auf den Kläger zugekommen, habe sich an ihn angeschmiegt und ihm ihre Wange hingeboten, damit er ihr einen Abschiedskuss habe geben können. Dieser Einladung sei der Kläger gefolgt. Danach hätten beide wieder ihre Arbeit getan und die Sache sei damit erledigt gewesen. Nach Dienstende sei er gemeinsam mit Frau D. ein Stück gegangen. Nach kurzer Zeit habe diese ihre Jacke geöffnet und zu ihm gesagt: „Guck mal, das habe ich nur für dich angezogen“. Frau D. habe sich in einem sehr engen, tief ausgeschnittenen Oberteil vor den Kläger gestellt und ihm erneut einen weitreichenden Anblick ihrer Brüste in den tiefen Ausschnitt dargeboten.
Diesen Vortrag hat der Kläger in seinem Schriftsatz vom 12.02.2013 dahingehend modifiziert, dass nicht Frau D. ihn, sondern er Frau D. gefragt habe, ob er ihre Brüste „mal“ anfassen dürfe. Die anders lautende Darstellung im Schriftsatz vom 04.01.2013 beruhe auf einem Missverständnis des Klägervertreters. Zum Vorfall am 16.10.2012 sei richtig, dass der Kläger lediglich seine Arme geöffnet, er also Frau D. nicht unaufgefordert in den Arm genommen habe. Frau D. habe sich selbst in die geöffneten Arme des Klägers begeben und Wange an Wange an ihn geschmiegt. Das habe der Kläger nur so verstehen können und müssen, dass sie ihn in unmittelbarer Nähe seines Mundes zugleich auffordere, ihr einen Kuss zu geben. Frau D. habe sich dem Kuss des Klägers nicht entzogen, sondern es in seinen Armen genossen. Die anders lautende Darstellung im Vermerk vom 19.10.2012 treffe nicht zu und müsse auf einer unsorgfältigen Aufnahme oder einem Missverständnis beruhen.
Infolge der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung sei die Beklagte dazu verpflichtet, an den Kläger die Vergütung ab dem 01.11.2012 weiterzubezahlen.
Im Verfahren 8 Ca 441/12 hat der Kläger beantragt,
1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 01.11.2012 nicht beendet worden ist, sondern zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus unverändert fortbesteht,
2. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet worden ist, sondern unverändert auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
Im Verfahren 8 Ca 139/13 hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 16.720,69 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 3.136,84 € ab dem 30.11. und ab dem 31.12.2012, 2.866,76 € seit dem 31.01.2013 und auf jeweils 1.516,05 € seit dem 28.02.2013, dem 31.03.2013, dem 30.04.2013, dem 31.05.2013 und dem 30.06.2013 zu zahlen.
Die Beklagte hat in beiden Verfahren beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu Recht fristlos zum 01.11.2012 beendet zu haben und deshalb zur weiteren Lohnzahlung nicht verpflichtet zu sein. Der Kläger habe die Auszubildende Frau D. sowohl am 15. als auch am 16.10.2012 sexuell belästigt. Es sei nicht nur zu einer verbalen sexuellen Belästigung gekommen, sondern zudem zu körperlichen Übergriffen. Die Belästigungen seien an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erfolgt. Die Auszubildende Frau D. sei während der Frühschicht am 15.10.2012 allein mit dem Kläger im Frühstücksraum gewesen. Dieser habe sie auf ihre Oberweite angesprochen und gefragt, ob die auch „echt“ sei und ob er ihre Brüste berühren dürfe. Frau D. habe ihm durch ablehnende Gestik und Mimik sowie durch fluchtartiges Verschwinden zu verstehen gegeben, dass dieses Verhalten völlig unangebracht gewesen sei. Gleichwohl habe der Kläger am nächsten Tag, dem 16.10.2012, sich von dieser ablehnenden Reaktion unbeeindruckt gezeigt und Frau D. in den Arm genommen, ihr an die Brust gefasst und versucht, sie zu küssen. Frau D. habe sich wiederum der Situation entziehen können und habe weiteren Kontakt zum Kläger vermieden. Zu Lasten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass es sich bei Frau D. um eine Auszubildende handele, der gegenüber eine besondere Fürsorgepflicht der Beklagten bestehe. Er habe bei seinen Annährungsversuchen den Umstand ausgenutzt, dass Auszubildende im Berufsleben noch unerfahren seien, auch was den Umgang und die Wahrung der eigenen Rechte gegenüber „etablierten“ Mitarbeiter anbelange. Eine Versetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz komme nicht in Betracht. Zum einen beschäftige die Beklagte im Pflegebereich überwiegend weibliches Personal. Zum anderen würden Auszubildende dergestalt eingesetzt, dass sie sämtliche Stationen im Krankenhausbetrieb der Beklagten durchliefen. Deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in Versuchung gerate, ein weiteres Mal durch unangemessenes Verhalten im Sinne einer sexuellen Belästigung auffällig zu werden. Dem Kläger müsse klar sein, dass sein Handeln im hohen Maße inakzeptabel sei. Sexuelle Belästigungen – gleich welcher Art – stellten eine absolut unerwünschte Verhaltensweise dar, welches die Beklagte zu unterbinden habe. Der Vertrauensbruch des Klägers sei so erheblich, dass aus Sicht der Beklagten eine Weiterbeschäftigung gleich welcher Art auch nur für ein halbes Jahr ausgeschlossen sein.
Das Arbeitsgericht Braunschweig hat im Verfahren 8 Ca 441/12 Beweis erhoben zu dem pauschalen Beweisthema: „Die Frage der sexuellen Belästigung am 15. bzw. 16.10.2012“ (vgl. Bl. 36 R. d.A.) durch die Vernehmung von Frau D. als Zeugin. Wegen des Inhalts und Ablaufs der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der Kammerverhandlung vom 19.02.2013 (Bl. 53 – 55 d.A.) Bezug genommen.
Im Verfahren 8 Ca 441/12 hat das Arbeitsgericht Braunschweig mit Urteil vom 19.02.2013 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 01.11.2012 nicht beendet worden ist. Wegen der Einzelheiten der rechtlichen Bewertung wird die Entscheidungsgründe dieses Urteils (Bl. 5 – 8 desselben, Bl. 62 – 65 der Gerichtsakte) verwiesen. Das Urteil ist der Beklagten am 21.03.2013 zugestellt worden. Hiergegen hat die Beklagte mit am 16.04.2013 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese unter dem 15.05.2013 begründet.
Mit Urteil vom 15.08.2013 hat das Arbeitsgericht Braunschweig die Beklagte dazu verurteilt, an den Kläger insgesamt 16.720,69 € brutto an Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.06.2013 zu zahlen. Wegen der rechtlichen Bewertung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (Bl. 4 – 7 desselben, Bl. 44 – 47 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Das Urteil ist der Beklagten am 21.08.2013 zugestellt worden. Ihre hiergegen gerichtete Berufung ist am 27.08.2013 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen. Die Berufungsbegründung erfolgte unter dem 07.10.2013.
Mit Beschluss vom 06.12.2013 hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die beiden Berufungsverfahren 6 Sa 391/13 und 6 Sa 920/13 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Beklagte ist der Auffassung, das erstinstanzliche Gericht sei bei der Interessenabwägung zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Abmahnung als Sanktion für das klägerische Verhalten ausgereicht habe. Insoweit müsse vorliegend hervorgehoben werden, dass Opfer der sexuellen Belästigung des Klägers eine Auszubildende gewesen sei. Es sei für den Kläger ohne weiteres erkennbar gewesen, dass die Beklagte sexuelle Übergriffe auf Auszubildende unter keinem denkbaren Gesichtspunkt dulden werde. Zudem sei die sexuelle Belästigung nicht nur verbal erfolgt, sondern sie habe auch die körperliche Integrität der Auszubildenden betroffen. Zudem habe es sich um ein wiederholtes Fehlverhalten, nämlich um ein solches am 15. und ein solches am 16.10.2012 gehandelt. Die Beklagte beschäftige ca. 240 Auszubildende und insgesamt im Pflegebereich überwiegend weibliche Mitarbeiterinnen. Auch ohne Abmahnung habe der Kläger in jedem Fall davon ausgehen müssen, dass sowohl die Berührung der Brust als auch der Versuch eines Kusses auf den Mund völlig unakzeptabel seien. Infolge der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung sei die Beklagte nicht zur Zahlung von Vergütung an den Kläger über den 01.11.2012 hinaus verpflichtet.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.02.2013 – 8 Ca 441/12 – und vom 15.08.2013 – 8 Ca 139/13 – abzuändern und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Zudem ist er der Auffassung, dass die Vernehmung der Zeugin auch anders habe gewürdigt werden können, als dies von Seiten des erstinstanzlichen Gerichtes erfolgt sei. Die Zeugin habe einräumen müssen, ihr Verhalten gegenüber dem Kläger sei bereits anderen Kollegen aufgefallen, sodass diese sogar hätten fragen müssen, was diese denn da mache. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichtes könne daher bereits einen Rechtsfehler erkennen lassen, weil sie nicht den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt habe. Sie sei nicht frei von widersprüchlichen Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze. Das Gericht habe wegen der auffälligen Widersprüchlichkeiten innerhalb der Aussage Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin D. haben müssen. Das Arbeitsgericht habe insofern wesentliche Inhalte der Zeugenaussage unberücksichtigt gelassen. Selbst die Richtigkeit der Beweiswürdigung unterstellt, sei es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen und es bei einer Abmahnung als Reaktion zu belassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf ihres Schriftsätze vom 15.05.2013 und 11.06.2013 im Verfahren 6 Sa 391/13 und auf ihre Schriftsätze vom 02.10.2013 und 18.10.2013 im Verfahren 6 Sa 920/13 sowie auf die in der mündlichen Verhandlung abgegebenen wechselseitigen Erklärungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungen der Beklagten haben Erfolg.
I.
Beide Berufungen sind statthaft, form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, § 66 ArbGG und §§ 519, 520 ZPO.
II.
Sie sind begründet.
Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.11.2012 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Zugang am 01.11.2012 beendet. Aus diesem Grunde ist die Beklagte nicht dazu verpflichtet, an den Kläger weitere Vergütung zu zahlen. Die erstinstanzlichen Urteile waren deshalb auf die Berufungen der Beklagten abzuändern und die Klagen waren insgesamt abzuweisen.
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischer Weise als wichtiger Grund geeignet ist. Sodann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – unzumutbar ist oder nicht. Ist – wie vorliegend beim Kläger – vertraglich oder aufgrund von tariflicher Regelung die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, ist insoweit auf die fiktive Kündigungsfrist abzustellen. Diese beträgt für den Kläger auf Grundlage von § 33 TVöD sechs Monate.
2. Das Verhalten des Klägers am 15. und 16.10.2012 rechtfertigt „an sich“ eine außerordentliche Kündigung.
a) Sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AG stellen nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie sind „an sich“ als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalles, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (vgl. BAG, 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342). Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten, wozu unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entmündigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen. Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Ausschlaggebend ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Dabei genügt für das Bewirken der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Auch vorsätzliches Verhalten ist nicht erforderlich. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben. Entscheidend ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (vgl. nur BAG, 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 – a.a.O., Hess. LAG, 27.02.2012 – 6 Sa 1357/11 – LAGE § 626 BGB, 2012 Nr. 37).
b) Bei der gebotenen Zugrundelegung dieser Vorgaben steht nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung zur Überzeugung der Berufungskammer gemäß § 286 ZPO mit der gebotenen Gewissheit fest, dass der Kläger einerseits am 15.10.2012 die Auszubildende Frau D., nachdem alle anderen Kollegen und Kolleginnen den Frühstücksraum verlassen hatten, auf ihre Oberweite und auf deren Echtheit angesprochen hat, und dass der Kläger andererseits am darauffolgenden Dienstag, den 16.10.2012, die Auszubildende Frau D., als beide allein in einem Spülraum waren, in den Arm genommen, seine linke Hand auf deren Brust gelegt und versucht hat, diese zu küssen.
aa) Soweit nach § 286 ZPO zu beurteilen ist, ob eine Behauptung „wahr“ ist, kommt es auf die freie Überzeugung des Gerichts an. Diese Überzeugung von der Wahrheit erfordert zwar keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, da eine solche nicht zu erreichen ist. Das Gericht darf also nicht darauf abstellen, ob jeder Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausgeschlossen ist. Ausreichend, aber auch erforderlich ist vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, 14.12.1993 – IV ZR 221/92 – NJW-RR 1994, 567). Dabei hat das Gericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden. Dabei kann und darf das Gericht nicht nur aus dem Ergebnis einer Beweisaufnahme, sondern auch aus dem Verhalten einer Partei auf die Wahrheit oder Unwahrheit ihres Vorbringens schließen. § 286 Abs. 1 ZPO schreibt ausdrücklich vor, dass das Ergebnis einer Beweisaufnahme nicht isoliert, sondern unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung zu bewerten ist. Der Inhalt der Verhandlung setzt sich dabei zum einen aus dem unstreitigen und streitigen Sachvortrag der Parteien und zum anderen aus deren Prozessverhalten zusammen. Zwar ist eine Partei nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreites zu ändern. Hat eine Parteien im Laufe des Prozesses jedoch ihr Vorbringen modifiziert, so kann dieser Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden (vgl. BAG, 08.05.1996 – 5 AZR 315/95 – AP Nr. 23 zu § 618 BGB). Dabei hat das Berufungsgericht gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche Zweifel können sich aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen dann ergeben, wenn das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Die Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfällt auch dann, wenn die Beweiswürdigung der ersten Instanz nicht den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO genügt, weil sie unvollständig, in sich widersprüchlich oder gegen Denk- und Erfahrungsgesetze verstößt (vgl. BGH, 12.08.2007 – ZR 257/03 – NJW 2004, 854; LAG Rheinland-Pfalz, 24.05.2012 – 11 Sa 50/12 – siehe Juris).
bb) Gemessen an diesen Anforderungen sind Zweifel an der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nicht gegeben. Das Berufungsgericht teilt die vom Arbeitsgericht vorgenommene Bewertung, dass die Aussage von Frau D. glaubhaft und die Zeugin selbst glaubwürdig ist.
aaa) Dabei folgt die Berufungskammer der sog. Nullhypothese, nach der ein Zeuge mit seiner Aussage weder einer Grundannahme der Glaubhaftigkeit noch der Unglaubhaftigkeit unterliegt. Der Zeuge muss das Gericht durch seine Aussage „überzeugen“. Zur Abgrenzung werden die anerkannten Realitätskennzeichen und Fantasiemerkmale herangezogen. Realitätskennzeichen einer Aussage sind u.a. Detailreichtum, inhaltliche Individualität mit nachprüfbarer inhaltlicher Verflechtung, Strukturgleichheit der Aussage, Steuerung und Homogenität sowie Konstanz etwaiger Erweiterungen bei Wiederholung der Aussage. Fantasiekennzeichnend sind Verlegenheit oder Verweigerung, Übertreibung oder Begründungssignale und mangelnde Aussagekompetenz bis hin zum Strukturbruch. Diese Anzeichen sind in erster Linie dem protokolierten Inhalt der Aussage zu entnehmen unter Berücksichtigung des gesamten Vortrags der Parteien (LG Frankfurt, 19.10.2004 – 12 O 404/02 – Schaden-Praxis 2005, 376 – 377; LAG Niedersachsen, 15.09.2008 – 14 Sa 1769/07 – NZA-RR 2009, 126 – 131; BGH, 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 – 2751).
bbb) Die Zeugin konnte die Sachverhalte am 15.10. und 16.10.2012 zeitlich, örtlich und situativ zutreffend einordnen. Sie hat die Verhaltensweisen des Klägers nicht dramatisiert, sondern nüchtern und ohne blumige Umschreibungen dargestellt. Auch die bekundeten Reaktionen ihrerseits sind ohne weiteres nachvollziehbar. So hat sie erklärt, dass der Kläger sie am Montag, den 15.10.2012, im Frühstücksraum auf ihre große Oberweite angesprochen habe. Sie hat eingeräumt, dass sie sich dabei zunächst nichts gedacht und darüber sogar noch gelacht habe. Sie hat zudem ausgeführt, dass der Kläger sie am gleichen Tag gegen 10:00 Uhr darauf angesprochen habe, ob es ihr unangenehm gewesen sei, über solche Sachen zu reden. Das habe sie verneint. Die Zeugin hat auf Vorhalt des Klägervertreters ohne weiteres zugestanden, dass im Frühstücksraum am besagten 15.10.2012 zuvor eine ausgelassene Stimmung geherrscht habe. Es sei viel gelacht worden und man habe herumgealbert. Das Ganze habe ein solches Ausmaß angenommen, dass die Sekretärin sie sogar darauf angesprochen habe, was sie denn dort mache. Dieses Herumalbern hat die Zeugin damit begründet, dass immer dann, wenn sie hochgeblickt habe, der Kläger sie angeguckt habe, und sie deshalb habe lachen müssen; Widersprüchlichkeiten sind hier entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu erkennen. Die Zeugin hat zudem unumwunden eingeräumt, dass sie grundsätzlich ein gutes Verhältnis zum Kläger gehabt habe. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin den Kläger zu Unrecht beschuldigen wollte, sind nicht gegeben. Des Weiteren hat die Zeugin die Geschehnisse am darauffolgenden Dienstag, den 16.10.2012 in nachvollziehbarer Art und Weise sowie in sich schlüssig dargestellt. Auch insoweit hat sie wiederum auf jegliche Dramatisierung und Emotionalisierung der Sachverhaltsdarstellung verzichtet. Sie hat ausgeführt, dass sie gemeinsam mit dem Kläger im Spülraum gewesen sei. Der Kläger habe die Tür angelehnt, sie in den rechten Arm genommen, seine linke Hand auf ihre Brust gelegt und versucht sie zu küssen. Sie habe sich weggedreht, woraufhin der Kläger sie noch auf die Wange geküsst habe. Sie sei dann weggegangen und habe ihre Arbeit weiter verrichtet. Auch, dass sie diesen Vorfall nicht sofort, sondern erst nach dem Gespräch mit ihrer Schwester am Mittwoch bei der Beklagten gemeldet hatte, hat sie schlüssig begründet. Die Zeugin hat freimütig eingeräumt, dass sie zunächst Zweifel gehabt habe, ob sie das tun solle, da sie dem Kläger noch am Montag geantwortet habe, dass es ihr nicht unangenehm sei über solche Sachen zu reden. Insgesamt hält deshalb die Berufungskammer ebenso wie das Arbeitsgericht Braunschweig die Aussage der Frau D. für glaubhaft und die Zeugin selbst für glaubwürdig.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich die Zeugin Frau D. nicht nur im Rahmen der Zeugenaussage, sondern schon vorher gegenüber der Beklagten in inhaltlich unveränderter Weise durchgehend zu den Vorfällen am 15. und 16.10.2012 erklärt hat. Demgegenüber ist dem Kläger vorzuhalten, dass er sich bei der Anhörung durch die Beklagten am 18.10.2012 und im Rahmen seines prozessualen Vorbringens inhaltlich nicht stringent zu den Vorfällen am 15. und 16.10.2012 geäußert hat. Die Abweichungen hat er nicht nachvollziehbar begründet. Gemäß Vermerk vom 19.10.2012 hat der Kläger in der Anhörung am 18.10.2012 erklärt, dass er Frau D. gefragt habe, ob er ihre Brust einmal anfassen dürfe. Frau D. hierauf erwidert habe, dass sie grundsätzlich nichts gegen das Berühren ihrer Brust einzuwenden habe. Am 16.10.2012 habe er sich veranlasst gesehen, Frau D. zu trösten und diese deshalb in den Arm genommen und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben. Frau D. habe ohne weiteren Wortwechsel daraufhin schnell den Raum verlassen. Demgegenüber hat der Kläger im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens im Schriftsatz vom 04.01. 2013 eingekleidet in wörtlicher Rede erklärt, Frau D. habe ihn am 15.10.2012 gefragt: „Alles echt! Willst du mal anfassen?“. Im Schriftsatz vom 12.02.2013 stellt der Kläger dar, es sei richtig, dass er die Zeugin Frau D. gefragt habe, ob er mal anfassen dürfe. Die anders lautende Darstellung im Schriftsatz vom 04.01.2013 beruhe auf einem Missverständnis des Klägervertreters. Wie es zu diesem Missverständnis in einem so wichtigen Sachverhaltsdetail kommen konnte, führt der Kläger nicht aus. Am 16.10.2012 habe sich die Zeugin selbst in die geöffneten Arme des Klägers begeben und Wange an Wange an diesen geschmiegt. Sie habe sich dem Kuss des Klägers nicht entzogen, sondern es in den Armen des Klägers genossen. Frau D. habe den Raum nicht schnell verlassen. Die anders lautende Darstellung im Vermerk bzgl. des Gespräches am 18.10.2010 treffe nicht zu und müsse auf einer unsorgfältigen Aufnahme oder einem Missverständnis beruhen. Auch das wird vom Kläger nicht erläutert.
Für die Kammer ist schwer nachvollziehbar, wie der Kläger einen für ihn derart wichtigen Sachverhalt in unterschiedlichen Variationen vorträgt, ohne dies konkret zu begründen. Insgesamt ist die Kammer deshalb mit der gebotenen Gewissheit davon überzeugt, dass sich die Vorfälle so zugetragen haben, wie sie von der Zeugin D. in erster Instanz bekundet worden sind. Die vom Kläger erhobenen pauschalen Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Feststellungen sind weder nachvollziehbar noch ausreichend begründet und treffen aus den oben dargelegten Gründen nicht zu. Die Berufungskammer hatte deshalb keine Veranlassung die Beweisaufnahme zu wiederholen. Nach § 389 ZPO ist das Berufungsgericht nur dann zu erneuten Vernehmung verpflichtet, wenn es die Glaubwürdigkeit der erstinstanzlich gehörten Zeugen anders als das Gericht erster Instanz beurteilt und dies die Tatsachenfeststellung beeinflusst. Ebenso wie die erste Instanz hält auch die Berufungskammer die Zeugenaussage der Frau D. für glaubhaft und sie selbst für glaubwürdig.
c) Damit ist der Entscheidung zugrunde zu legen, dass der Kläger im Betrieb der Beklagten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Auszubildende Frau D. sexuell im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG belästigt hat. Der Kläger hat die Auszubildende am 15.10.2012 auf ihre Oberweite angesprochen und danach gefragt, ob diese echt sei. Dabei handelt es sich ohne Zweifel um eine Bemerkung sexuellen Inhalts, die die Auszubildende auf ihre Brüste reduzierte und sie damit in ihrer Würde verletzte. Zwar hat Frau D. eingeräumt, dass sie auf eine entsprechende Frage von Seiten des Klägers erklärt habe, dass es ihr nicht unangenehm gewesen sei, über so was zu reden. Das AGG geht jedoch nicht davon aus, dass die Belästigte den Störer zunächst „abmahnen“ muss. Für den 53-jährigen Kläger war objektiv erkennbar, dass es eindeutig unangemessen ist, eine 18-jährige Auszubildende nach der Echtheit ihrer Oberweite zu fragen. Daran konnten für ihn keinerlei Zweifel bestehen. Die Vorfälle am 16.10.2012 stellen ebenfalls eindeutige sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG dar. Der Kläger hat an diesem Tag Frau D. nicht nur in den Arm genommen, sondern ihr mit einer Hand auf die Brust gefasst und versucht sie auf den Mund zu küssen. Eine versehentliche Berührung scheidet unter diesen Umständen eindeutig aus. Vielmehr ist der Kläger unter Missachtung des elementarsten Schamgefühls die Auszubildende körperlich angegangen. Bei der Berührung der Brust handelt es offensichtlich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der immer objektiv als sexuelle bestimmt im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG anzusehen ist. Die Brust stellt eine Tabuzone dar (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.08.2012 – 5 Sa 324/11 – ARB RB 2012, 365). Gleiches gilt ohne Frage auch für den Kuss auf den Mund. Die Verbindung dieser Verhaltensweisen mit einem „in den Arm nehmen“, woraufhin die Entzugsmöglichkeiten für Frau D. reduziert waren, haben Frau D. zum Objekt des klägerischen Begehrens gemacht. Sie sind als unerwünschte sexuelle Handlungen zu qualifizieren, die die Auszubildende Frau D. in ihrer Würde verletzt haben. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich, dass Frau D. dem Kläger in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben hätte, für Berührungen ihrer Brust bzw. Küsse auf ihren Mund offen zu sein. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgehen wollte, dass er sich durch bestimmte Verhaltensweisen von Frau D. provoziert oder ermutigt fühlen durfte, rechtfertigt das seine Übergriffe nicht. Von einem Mann im Alter des Klägers, mit seiner einschlägigen Berufserfahrung ist ohne weiteres zu erwarten, dass er auf derartige „Provokationen“ von Auszubildenden am Arbeitsplatz nicht eingeht. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt hat oder verstanden wissen wollte.
3. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist zudem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.
a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegen einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist am 30.06.2013 zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand deren zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können je nach Lage des Falles Bedeutung gewinnen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemesseneren Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche mildere Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG gehören, hat der Arbeitgeber im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche er hiervon als verhältnismäßig ansehen darf, hängt ebenfalls von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu unterbinden hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, d. h. eine Wiederholung ausschließen. Eine Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. nur BAG, 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027).
b) Danach war hier entgegen der Einschätzung des Arbeitsgerichtes Braunschweig eine Abmahnung entbehrlich war. Insoweit ist zunächst hervorzuheben, dass es sich nicht um ein einmaliges Fehlverhalten des Klägers gehandelt hat, sondern dass dieser an zwei aufeinander folgenden Tagen die weibliche Auszubildende zunächst verbal und danach durch Handlungen sexuell belästigt hat. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Intensität der Belästigung zugenommen hat. Es kann dahinstehen, ob in Bezug auf die verbale Belästigung der Auszubildende am 15.10.2012 eine vorherige Abmahnung erfolgversprechend und ausreichend gewesen wäre. Jedenfalls die körperlichen Berührungen am 16.10.2012 in Gestalt des Anfassens der Brust und des Versuchs, Frau D. auf den Mund zu küssen, stellen derart gravierende Pflichtverletzungen dar, dass deren Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich und für den Kläger erkennbar ausgeschlossen waren. Dass sexuelle Belästigungen von Kolleginnen in Wort und Tat unerwünschte Verhaltensweisen darstellen, ist allgemein be- und anerkannt. Ein derartiges Verhalten gilt im Arbeitsverhältnis grundsätzlich als inakzeptabel, insbesondere wenn es um das Berühren der primären Geschlechtsmerkmale, wie der Brust geht. Dies musste dem Kläger ohne weiteres klar sein. Dazu bedurfte es einer vorherigen Abmahnung von Seiten der Beklagten nicht.
c) Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen war der Beklagten eine Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht zumutbar.
Die Pflichtverletzung des Klägers wiegt außerordentlich schwer. Er hat Frau D. an zwei Arbeitstagen hintereinander mehrmals sexuell belästigt. Dabei bewegen sich verbale Belästigungen nicht generell in einem weniger gravierenden Bereich des durch § 3 Abs. 4 AGG aufgezeigten Spektrums. Die auf die Brüste von Frau D. anspielende Frage hatte nicht nur einen anzüglichen und bedrängenden, sondern auch einen eindeutig sexuellen Charakter. Die Belästigung von Frau D. hat sich am 16.10.2012 intensiviert, indem der Kläger deren Brust und damit eine offensichtliche Tabuzone berührt hat. Zugleich hat er versucht, Frau D. auf den Mund zu küssen. Das ist als eine die körperliche Integrität missachtende und sexuell motivierte Handlung zu qualifizieren. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht auf einen Irrtum über die Unerwünschtheit seines Verhaltens berufen. Sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG erfordern tatbestandlich kein vorsätzliches Verhalten. Zwar ist zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn er sich nachvollziehbar in einem Irrtum befunden hat. Dafür bestehen aber nach der überzeugenden Aussage der Zeugin D. keinerlei Anhaltspunkte. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, wie der Kläger am 16.10.2012 davon ausgehen konnte, Frau D. sei damit einverstanden, dass er in einem von außen nicht einsehbaren Raum deren Brust berührt und versucht sie auf den Mund zu küssen. Die Beklagte hat gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 AGG die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor sexuellen Belästigungen zu schützen und gegenüber allen Mitarbeitern klarzustellen, dass sexuelle Belästigungen unter keinen Umständen hingenommen werden. Dies konnte sie durch den Ausspruch einer nur ordentlichen Kündigung nicht gewährleisten. Für den Lauf der Kündigungsfrist von sechs Monaten hätte die Gefahr einer Belästigung durch den Kläger fortbestanden. Obwohl es sich ihm aufdrängen musste, hat er sich dazu hinreißen lassen, Frau D. zweimal in eindeutiger Art und Weise sexuell zu belästigen. Der im Zuge des Personalgesprächs erfolgten und mithin nachträglichen sowie von außen veranlassten Entschuldigung des Klägers kommt keine besonders entlastende Bedeutung zu. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sie im pflegerischen Bereich überwiegend weibliche Mitarbeiter und insgesamt 240 Auszubildende beschäftige. Diese Auszubildenden durchliefen im 8-Wochen-Rhythmus verschiedenste Abteilungen der Beklagten. Egal in welchen Bereichen der Kläger beschäftigt wird, er arbeitet immer mit weiblichen Kolleginnen und Auszubildenden zusammenarbeiten. Gerade in Bezug auf Auszubildende nimmt die Beklagte für sich zu Recht eine gesteigerte Fürsorgepflicht in Anspruch. Dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen hat der Kläger im besonders schwerwiegender und nachhaltiger Art und Weise dadurch verletzt, dass er eine Auszubildende sexuell belästigt hat und zwar nicht einmalig, sondern an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Dafür hat er stets Situationen gewählt, in denen keine andere Person anwesend war. So hat er sich einer Kontrolle vollständig entzogen. Hätte Frau D. den Sachverhalt nicht zur Kenntnis der Beklagten gebracht, hätte die Beklagte keinerlei Möglichkeit gehabt, hiervon zu erfahren. Trotz seiner ausgesprochen langen und unstreitig beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit, seinen Unterhaltsverpflichtungen und seines Alters von 53 Jahren überwiegt deshalb im Ergebnis das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung desselben zumindest für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist.
4. Die Beklagte hat vor Ausspruch der Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat von den kündigungsauslösenden Sachverhalten erstmals am Donnerstag, den 18.10.2012 erfahren. Die daraufhin erfolgte fristlose Kündigung ging dem Kläger am Donnerstag, den 01.11.2012 und damit innerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist zu.
5. Die außerordentliche Kündigung ist schließlich nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrates unwirksam. Ausweislich der schriftlichen Anhörung des Betriebsrates vom 24.10.2012 hat die Beklagte diesen inhaltlich in vollständiger Art und Weise sowohl über die Sozialdaten des Klägers als auch den zugrundeliegenden Sachverhalt einschließlich der Kriterien für die Interessenabwägung informiert. Unter dem 25.10.2012 hat der Betriebsrat dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass er die beabsichtigte Maßnahme zur Kenntnis genommen habe. Unabhängig von der Frage, ob das Anhörungsverfahren bereits dadurch beendet wurde, hat die Beklagte gleichwohl den Ablauf der dreitätige Frist abgewartet, bevor dann unter dem 01.11.2012 die fristlose Kündigung des Klägers erklärt worden ist.
II.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist seit dem 01.11.2012 beendet. Aus diesem Grund stehen dem Kläger über den 01.11.2012 hinaus keine Annahmeverzugsansprüche gemäß § 615 BGB gegen die Beklagte zu.
III.
Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreites, d. h. der beiden erstinstanzlichen Verfahren 8 Ca 139/13 und 8 Ca 441/12 sowie der verbundenen Berufungsverfahren 6 Sa 391/13 und 6 Sa 920/13 zu tragen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.