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Gerüstbauarbeiten – Abrechnung als Arbeits- oder Schutzgerüst

Das Landgericht Karlsruhe hat entschieden, dass das erstellte Gerüst als Schutzgerüst abzurechnen ist. Ausschlaggebend waren die technischen und funktionalen Anforderungen, die laut Sachverständigengutachten erfüllt wurden. Das Urteil verdeutlicht die Wichtigkeit präziser Leistungsbeschreibungen und die Bedeutung technischer Normen bei der Abrechnung von Bauleistungen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 O 71/21

✔ Kurz und knapp


  • Das Gerüst ist als Schutzgerüst einzustufen, da es neben der Ausführung von Arbeiten auch dem Absturz- und Schlagschutz diente.
  • Die Abrechnung der Gerüstbauarbeiten hat nach den Regelungen für Schutzgerüste zu erfolgen.
  • Das Leistungsverzeichnis ließ sowohl eine Abrechnung als Arbeits- als auch als Schutzgerüst zu.
  • Aus den Ausschreibungsunterlagen ergab sich keine eindeutige vertragliche Vorgabe zur Abrechnungsart.
  • Die Einordnung als Schutz- oder Arbeitsgerüst richtet sich nach der vom Gerüst tatsächlich erfüllten Funktion.
  • Die Klägerin hat das Gerüst zu Recht nach den Vorgaben für Schutzgerüste abgerechnet.
  • Der Anspruch der Klägerin auf restliche Vergütung in Höhe von 6.339,40 € nebst Zinsen ist begründet.
  • Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, abgesehen von den Kosten der Nebenintervention.

Gerüstbau-Abrechnung: Gerichtsentscheidung zu Arbeits- vs. Schutzgerüst

Eine der Kernaufgaben im Bauwesen ist die Errichtung und Nutzung von Gerüsten. Diese erfüllen eine zentrale Funktion – sei es als Arbeitsplattform für Handwerker oder als schützendes Element zur Absicherung der Baustelle. Allerdings stellt sich nicht immer eindeutig die Frage, ob ein Gerüst als „Arbeitsgerüst“ oder als „Schutzgerüst“ einzuordnen ist. Diese Unterscheidung spielt eine wichtige Rolle bei der Abrechnung und Vergütung der erbrachten Leistungen. Rechtliche Grundlagen, Normvorgaben und vertragliche Vereinbarungen müssen sorgfältig geprüft werden, um die korrekte Einordnung vorzunehmen. Im Folgenden wollen wir einen konkreten Gerichtsfall betrachten, in dem es um die Frage der Gerüstabrechnung als Arbeits- oder Schutzgerüst ging.

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✔ Der Fall vor dem Landgericht Karlsruhe


Gerüstbauarbeiten: Streit um Abrechnung als Arbeits- oder Schutzgerüst

Baugerüst
(Symbolfoto: LOOKSLIKEPHOTO.COM /Shutterstock.com)

Im vorliegenden Fall geht es um die Klage eines Gerüstbauunternehmens gegen eine Gemeinde. Die Klägerin verlangt eine restliche Vergütung für Gerüstbauarbeiten, die im Rahmen der Dachsanierung einer Realschule durchgeführt wurden. Die Beklagte ist eine Gemeinde, die die Arbeiten in Auftrag gegeben hatte. Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung steht die Frage, ob das erstellte Gerüst als Arbeits- oder Schutzgerüst abzurechnen ist.

Die Gemeinde beauftragte das Gerüstbauunternehmen am 19. Mai 2020 auf Basis eines Angebots vom 25. März 2020 mit den Arbeiten. Im Leistungsverzeichnis wurde festgelegt, dass das Gerüst für diverse Arbeiten wie Dachabdichtungen, Dachbegrünungen, Klempnerarbeiten und Blitzschutzarbeiten genutzt werden sollte. Die Arbeiten wurden im Sommer/Herbst 2020 durchgeführt. Nach Fertigstellung der Arbeiten stellte die Klägerin ihre Leistungen in Rechnung. Die Gemeinde kürzte diese Schlussrechnung um verschiedene Positionen, was zu einem Streit über die Höhe der Vergütung führte.

Die Klägerin argumentiert, dass das Gerüst sowohl als Arbeits- als auch als Schutzgerüst erstellt wurde und daher entsprechend abgerechnet werden müsse. Die Beklagte hingegen ist der Meinung, dass die Abrechnung nur als Arbeitsgerüst erfolgen könne. Diese Differenzen führten zur Klage, in der die Klägerin 6.339,40 € nebst Zinsen fordert.

Gerichtliche Entscheidung und Begründung

Das Landgericht Karlsruhe hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 6.339,40 € nebst Zinsen verurteilt. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin Anspruch auf die restliche Vergütung hat, da das Gerüst nach den Vorgaben der VOB/C und der einschlägigen DIN-Normen als Schutzgerüst zu werten sei.

Entscheidend für die Bewertung als Schutzgerüst war die Funktionalität des Gerüsts. Das Gerüst diente nicht nur der Ausführung der Dacharbeiten, sondern auch der Sicherheit der auf dem Dach arbeitenden Personen. Nach den Feststellungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen entsprach das Gerüst den Anforderungen eines Schutzgerüsts, da es über spezifische Sicherungseinrichtungen verfügte, die den Absturz von Arbeitern verhindern sollten. Diese Sicherungsmaßnahmen waren gemäß den technischen Regeln und Sicherheitsvorschriften erforderlich.

Abwägung der Gerichtlichen Aspekte

Das Gericht musste mehrere Aspekte abwägen. Zum einen die vertraglichen Vereinbarungen und die genaue Auslegung des Leistungsverzeichnisses. Zum anderen die technische und funktionale Einordnung des Gerüsts anhand der geltenden DIN-Normen. Die Beklagte hatte argumentiert, dass eine vertragliche Regelung zur Abrechnung als Arbeitsgerüst vorliege. Das Gericht stellte jedoch fest, dass eine solche eindeutige Vereinbarung nicht existierte und die allgemeine Beschreibung im Leistungsverzeichnis auch Schutzfunktionen für die Dacharbeiten einschloss.

Ein weiterer wesentlicher Punkt war die Stellungnahme der Gemeindeprüfungsanstalt, die auf unklare Angaben im Leistungsverzeichnis hinwies. Das Gericht folgte jedoch der Einschätzung des Sachverständigen, dass die technischen und funktionalen Anforderungen an ein Schutzgerüst erfüllt waren und somit eine Abrechnung als Schutzgerüst gerechtfertigt sei.

Konsequenzen der Entscheidung

Durch das Urteil wird klargestellt, dass bei der Erstellung von Leistungsverzeichnissen und Verträgen für Bauvorhaben die Funktionalität von Gerüsten präzise beschrieben werden muss. Unklare oder widersprüchliche Angaben können zu erheblichen rechtlichen Auseinandersetzungen führen.

Die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe zeigt, dass technische Normen und Sicherheitsvorschriften bei der Abrechnung von Bauleistungen eine entscheidende Rolle spielen. Die genaue Einhaltung dieser Vorschriften ist nicht nur für die Sicherheit auf Baustellen unerlässlich, sondern auch für die korrekte Abrechnung und Vergütung der erbrachten Leistungen.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Das Urteil stellt klar, dass bei der Abrechnung von Gerüsten deren Funktionalität und Übereinstimmung mit technischen Normen und Sicherheitsvorschriften entscheidend sind. Unklare vertragliche Vereinbarungen treten dahinter zurück. Daraus folgt, dass Leistungsverzeichnisse und Verträge die Funktionalität von Gerüsten präzise beschreiben müssen, um Streitigkeiten zu vermeiden. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Einhaltung technischer Standards nicht nur für die Sicherheit, sondern auch für die korrekte Abrechnung von Bauleistungen.

✔ FAQ – Häufige Fragen: Gerüstabrechnung als Arbeits- oder Schutzgerüst


Was ist der Unterschied zwischen einem Arbeitsgerüst und einem Schutzgerüst?

Ein Arbeitsgerüst und ein Schutzgerüst unterscheiden sich in ihren Hauptfunktionen und baulichen Anforderungen. Ein Arbeitsgerüst dient primär als sicherer Arbeitsplatz für Personen, die Bauarbeiten ausführen. Es muss Personen, Materialien und Werkzeuge tragen und einen sicheren Zugang zu allen Gerüstebenen gewährleisten. Die baulichen Anforderungen an Arbeitsgerüste sind in der DIN EN 12811-1 geregelt, die temporäre Konstruktionen für Bauwerke beschreibt. Arbeitsgerüste werden nach Last- und Breitenklassen eingeteilt und müssen so konstruiert sein, dass sie die Lasten sicher ableiten können.

Ein Schutzgerüst hingegen hat die Hauptfunktion, Personen vor einem tieferen Absturz zu schützen. Es wird nicht als Arbeitsplatz genutzt, sondern dient als Sicherheitsmaßnahme. Schutzgerüste umfassen Fanggerüste, Dachfanggerüste und Schutzdächer, die Personen vor herabfallenden Gegenständen schützen sollen. Die baulichen Anforderungen an Schutzgerüste sind in der DIN 4420-1 festgelegt, die spezifische Anforderungen an die Fanglagen und Schutzwände stellt.

Die Unterscheidung zwischen Arbeits- und Schutzgerüsten hat erhebliche Auswirkungen auf die Abrechnung. Schutzgerüste sind in der Regel teurer, da sie zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erfordern, wie z. B. breitere Fanglagen und spezielle Verankerungen. Die Abrechnung erfolgt nach den Normen DIN 18299 und 18451, wobei die überarbeitete DIN 18451 nun eine einheitliche Abrechnung nach dem tatsächlichen Längen- und Höhenmaß der Gerüste vorsieht, unabhängig davon, ob es sich um ein Arbeits- oder Schutzgerüst handelt.

Ein kombiniertes Gerüst, das sowohl als Arbeits- als auch als Schutzgerüst dient, muss die Anforderungen beider Gerüstarten erfüllen. Die bauliche Durchbildung und der hauptsächliche Zweck des Gerüsts bestimmen die Leistungsermittlung und Abrechnung. In der Praxis führt dies oft zu Streitigkeiten, die durch eine klare Leistungsbeschreibung und vertragliche Vereinbarungen vermieden werden können.


Welche Rolle spielen technische Normen und Sicherheitsvorschriften bei der Einstufung eines Gerüsts?

Technische Normen und Sicherheitsvorschriften spielen eine zentrale Rolle bei der Einstufung eines Gerüsts als Arbeits- oder Schutzgerüst. Diese Normen und Vorschriften legen die baulichen Anforderungen, Sicherheitsstandards und Abrechnungsmodalitäten fest, die für die rechtliche Bewertung und praktische Anwendung entscheidend sind.

Die DIN 4420 ist eine der wichtigsten Normen im Gerüstbau und regelt die allgemeinen sicherheitstechnischen Anforderungen und Prüfungen für Arbeits- und Schutzgerüste. Diese Norm ist in mehrere Teile gegliedert, wobei Teil 1 die allgemeinen Regelungen für Schutzgerüste und Teil 3 die spezifischen Anforderungen für verschiedene Gerüstbauarten umfasst. Die DIN 4420-1 legt fest, dass Schutzgerüste wie Fanggerüste und Dachfanggerüste Personen vor Abstürzen und herabfallenden Gegenständen schützen müssen. Diese Normen sind in Übereinstimmung mit den europäischen Richtlinien, wie der Richtlinie 89/655 EWG, die Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer festlegt.

Die DIN EN 12811 und DIN EN 12810 sind ebenfalls von Bedeutung. Die DIN EN 12811 beschreibt temporäre Konstruktionen für Bauwerke und legt die Leistungsanforderungen, den Entwurf, die Konstruktion und die Bemessung von Arbeitsgerüsten fest. Die DIN EN 12810 bezieht sich speziell auf Fassadengerüste aus vorgefertigten Bauteilen und stellt sicher, dass diese die erforderliche Tragfähigkeit besitzen.

Die DIN 18451 regelt die Abrechnung von Gerüstbauarbeiten und unterscheidet zwischen Arbeits- und Schutzgerüsten. Diese Norm legt fest, dass Schutzgerüste aufgrund ihrer zusätzlichen Sicherheitsfunktionen und der damit verbundenen umfangreicheren Errichtung teurer abgerechnet werden als Arbeitsgerüste. Die überarbeitete Fassung der DIN 18451, die seit Oktober 2023 in Kraft ist, sieht vor, dass die Abrechnung nun einheitlich nach dem tatsächlichen Längen- und Höhenmaß der erstellten Gerüste erfolgt, unabhängig davon, ob es sich um ein Arbeits- oder Schutzgerüst handelt.

In der Praxis ist die genaue Leistungsbeschreibung in den Ausschreibungsunterlagen entscheidend. Diese muss den Verwendungszweck, die gewünschte Einsetzbarkeit, die geforderte Geometrie und Belastbarkeit sowie die Mengenangaben klar definieren. Eine sorgfältige Leistungsbeschreibung kann Streitigkeiten über Nachtragsforderungen und Schadensersatzansprüche vermeiden. Wenn keine eindeutige vertragliche Vereinbarung getroffen wurde, wird im Zweifel auf den Schwerpunkt der Funktion des Gerüsts abgestellt. Überwiegt die Schutzfunktion, wird das Gerüst als Schutzgerüst abgerechnet.

Zusätzlich zu den DIN-Normen sind auch die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG), der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung) zu beachten. Diese Vorschriften konkretisieren die Anforderungen an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Gerüsten und sind in den Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS 2121) und der Arbeitsstättenrichtlinie (ASR A2.1) festgelegt.

Insgesamt sind technische Normen und Sicherheitsvorschriften unerlässlich für die Einstufung und Abrechnung von Gerüsten, da sie die baulichen und sicherheitstechnischen Anforderungen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen klar definieren und somit eine einheitliche und sichere Anwendung in der Praxis gewährleisten.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 631 Abs. 1 BGB: Regelt den Werkvertrag, bei dem der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes und der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist. Hier relevant, da es um die Vergütung der Gerüstbauarbeiten geht.
  • VOB/B: Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen. Die hier maßgeblichen Bestimmungen der VOB/B betreffen die Abrechnung und Ausführung von Bauarbeiten, insbesondere bezüglich der Vergütung und Abrechnung nach Leistungsverzeichnis.
  • DIN 18451: Diese Norm bezieht sich auf Gerüstarbeiten, ihre Ausführung und die Abrechnung. Wichtig für die Einordnung und Abrechnung der Gerüste als Arbeits- oder Schutzgerüst.
  • DIN 4420-1 und DIN EN 12811-1: Diese DIN-Normen definieren die Anforderungen an Arbeits- und Schutzgerüste. Sie legen fest, welche technischen und sicherheitstechnischen Anforderungen für die Klassifizierung und Nutzung dieser Gerüste erfüllt sein müssen.
  • § 286 Abs. 1 BGB: Regelung zum Verzug, der eintritt, wenn der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht leistet. Relevant, da die Klägerin Zinsen wegen Verzuges fordert.
  • § 288 Abs. 1 und Abs. 2 BGB: Bestimmt die Verzugszinsen, die bei Zahlungsverzug geschuldet sind. Hier angewendet zur Berechnung der geforderten Zinsen von 9% über dem Basiszinssatz.
  • § 709 ZPO: Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit von Urteilen gegen Sicherheitsleistung. Wichtig, da das Urteil vorläufig vollstreckbar erklärt wurde.
  • § 91 Abs. 1 ZPO: Bestimmt die Kostentragungspflicht des unterliegenden Teils. Relevant, da die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits tragen muss.
  • § 101 Abs. 1 ZPO: Regelung zur Kostentragung bei Streitverkündung. Hier relevant für die Verteilung der Kosten der Nebenintervention.


⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Karlsruhe

LG Karlsruhe – Az.: 6 O 71/21 – Urteil vom 28.06.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.339,40 € nebst 9 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der durch die Nebenintervention verursachten Kosten, die der Streithelfer zu tragen hat.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt für Gerüstbauarbeiten im Streit über die Einordnung als Arbeits- oder Schutzgerüst restliche Vergütung.

Die beklagte Gemeinde hat das klagende Gerüstbauunternehmen am 19.05.2020 auf der Grundlage eines Angebots vom 25.03.2020 und unter Einbeziehung der VOB mit Gerüstbauarbeiten für das Bauvorhaben „Sanierung H.-Realschule – Dachsanierungsarbeiten“ in W. beauftragt.

Im Leistungsverzeichnis, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ist Folgendes – auszugsweise – ausgeführt:

„Allgemeine Baubeschreibung

… In einem ersten Bauabschnitt soll die Dachsanierung der bestehenden Realschule und des Anbaues durchgeführt werden. Beweggrund für die Dachsanierung sind bautechnische Defizite (Undichtigkeiten). … Zur Ausführung der Dachsanierungen werden die Gebäude ringsum eingerüstet. … Als Dachaufbau ist ein Naturdach mit einer extensiven Dachbegrünung geplant. …

ZTV Gerüstbau

1. Allgemeine Hinweise, 1.1 Grundlagen / DIN-Vorschriften: Es gilt die VOB in vollem Umfang mit allen darin, für diese Baumaßnahme relevanten, genannten DIN-Normen.

2 Ausführung … 2.2 Das Gerüst dient zur Ausführung der Dachabdichtungsarbeiten, Dachbegrünungsarbeiten, Klempnerarbeiten, Blitzschutzarbeiten.

01. Aussengerüste 01.01 Standgerüste

01.01.0001 Standgerüst Fassade Süd

Arbeits- und Schutzgerüst nach DIN EN 12811-1 und DIN 4420-1 als längenorientiertes Standgerüst, mit Systemintegrierten Absturzgeländer gem. TRBS2121, inkl. Bordbrett, einschl. der erforderlichen Leitern und Pritschengängen als freistehendes Gerüst, inkl. Bordbrett, einschl. aller notwendigen Verankerungen, Verstrebungen, Seitenschutz und Schutzgeländer … Einzurüstende Fassadenfläche ca.59,40 Ifm, Höhe ca. 8,66 m … 515 qm

01.01.0006 Fanggerüst

als Zulage zu den Standgerüsten der oben genannten Positionen für Lieferung und Abtransport, Auf / Abbau sowie Vorhaltung von Fanggerüsten der FL 2. Ausführung gem. einschlägiger Sicherheitsvorschriften als Arbeits- und Schutzgerüste für die Ausführung aller Arbeiten im Dach- und Dachrandbereich des Gebäudes. Die Standgerüste sind im oberen Bereich mit Konsolen und Zusatzböden zu versehen. Tiefe ca. 80 cm. Oberster Gerüstboden ca. 1.30 m unter der Attikakante. Zusätzliche Schutzwand mind. 1,00 m über Attikaoberkante. EP nach lfm als Zulage zu den Gerüstpositionen und bezieht sich auf die komplette Leistung zur Erstellung des Fanggerüstes. 286 m.“

Die Arbeiten wurden im Sommer/Herbst 2020 ausgeführt. Die Klägerin rechnete ihre Leistungen am 3.12.2020 unter Berücksichtigung vorangegangener Zahlungen ab. Die Beklagte kürzte diese Schlussrechnung um verschiedene Positionen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechnungsprüfung verwiesen.

Die Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg (GPA) hat zu Anfragen der Beklagten am X.X.XX und am X.X.XX beratend Stellung genommen. Die Klägerin beauftragte ein Ingenieurbüro S für Gerüstbau mit einem Gutachten, welches am 16.3.2021 erstellt und mit einem Betrag von 665,95 € abgerechnet wurde. Diese Kosten beabsichtigt die Klägerin im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machen.

Die Klägerin wendet sich vorliegend gegen die Kürzungen zu Aufmaß und Miete für Standgerüste im Außenbereich in den Positionen 01.01.0001 bis 01.01.0014. Diese Kürzungspositionen ergeben einen Betrag in Höhe von netto 5.465,00 €, zzgl. 16% MwSt. 874,40 €, gesamt brutto 6.339,40€. Über die weiteren Abzugspositionen haben sich die Parteien außergerichtlich geeinigt.

Die Beklagte hat dem von ihr beauftragten Architekten am 02.07.2021 den Streit verkündet, der am 19.07.2021 dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist.

Die Klägerin trägt vor, ihre Abrechnung sei ordnungsgemäß erfolgt. Sie habe das Standgerüst nicht nur als Arbeits-, sondern auch als Schutzgerüst für Dachdecker entsprechend dem Leistungsverzeichnis gebaut, wobei sie zutreffend die maßgebliche DIN 18451 Ziffern 5.2.1. und 5.2.3 zugrunde gelegt und im Aufmaß ordnungsgemäß errechnet habe. Die Beklagte vermische die Fragen Arbeitsgerüst bzw. Arbeits- und Schutzgerüst einerseits mit der des Fanggerüstes. Das Fanggerüst sei eine separate Position im Leistungsverzeichnis, bei dem die (bereits stehende) oberste Lage für die Dachdeckerarbeiten mit Konsolen verbreitert ausgebaut und mit einer erhöhten Schutzwand versehen worden sei. Diese Leistung werde nach laufenden Metern und nicht nach Quadratmetern abgerechnet. Die Fläche des bereits ausgebauten Bereiches werde mit der restlichen Gerüstfläche gemeinsam abgerechnet, da diese grundsätzlich gemeinsam mit aufgebaut werde.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.339,40 € nebst 9 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit 05.01.2021 zu zahlen.

Die Beklagte und ihr Streithelfer beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, die Kürzungen seien in Rücksprache mit der Gemeindeprüfanstalt berechtigt erfolgt. Auch sei aufgrund der konkreten Art und Weise der Ausschreibung des Gerüstes und der Abgabe eines entsprechenden Angebotes faktisch eine vertragliche Regelung auch über die Art und Weise der späteren Aufmaßnahme zur Gerüsterstellung getroffen worden, weshalb es aus Rechtsgründen überhaupt nicht auf eine Unterscheidung dazu ankomme, ob das Gerüst als Schutzgerüst oder als Fassadengerüst oder als gemischt genutztes Gerüst ausgeschrieben worden sei oder ob tatsächlich nur Dacharbeiten ausgeführt worden seien und allein deshalb eine Aufmaßnahme und Abrechnung lediglich als Schutzgerüst möglich sei. Die vertraglichen Vereinbarungen zu Aufmaßnahme und Vergütung gingen allen anderen Abrechnungsregeln vor.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 05.08.2021 (§ 358a ZPO) Beweis erhoben durch Beauftragung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, welches am 15.2.2022 erstellt und am 01.08.2022 ergänzt wurde. Diese Gutachten wurden in der – virtuell/hybriden – mündlichen Verhandlung vom 30.11.2022 mit dem anwesenden Sachverständigen Dipl. Ing. Dr. R. erörtert und sodann von dem Sachverständigen nochmals am 27.02.2023 schriftlich ergänzt.

Mit Beschluss vom 19.04.2023 wurde das schriftliche Verfahren angeordnet und der Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, auf den 17.05.2023 bestimmt.

Wegen der Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein restlicher Zahlungsanspruch in Höhe von 6.339,40 € zu (§ 631 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 16 VOB/B (2016).

a. Der zwischen den Parteien zustande gekommene Vertrag vom 19.05.2020 ist im hier maßgeblichen Teil nach den Vorschriften des Werkvertragsrechts zu beurteilen, weil die Errichtung des geschuldeten Werks im Vordergrund steht.

Verträge über den Aufbau eines Gerüstes und dessen Vorhaltung können als Werkvertrag, Mietvertrag oder als Vertrag einzuordnen sein, der sowohl werkvertragliche als auch mietvertragliche Elemente aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2013 – VII ZR 201/12, Rn. 20, juris, NJW 2013, 1670; KG Berlin, Urteil vom 05.08.2009 – 11 U 64/08, Rn. 5, juris, BauR 2011, 566; OLG Celle, Urteil vom 03.04.2007 – 16 U 267/06, Rn. 9, juris, BauR 2007, 1583; OLG Hamm, Urteil vom 15.04.1994 – 30 U 243/93, juris, NJW-RR 1994, 1297). Vorliegend hat die Klägerin nicht nur bauvorbereitende Bauleistungen erbracht und auch die Gerüste nicht nur vermietet, sondern diese freitragenden Gerüste individuell bemessen und zusammengestellt, in eigener Verantwortung über deren Konstruktion im Einzelnen entschieden und einschließlich aller notwendigen Verankerungen und Verstrebungen montiert, verbunden mit der Möglichkeit, sie ggf. umzusetzen und an den Baufortschritt anzupassen, und der Beklagten für bestimmte Zeiten zur Verfügung gestellt. Danach wurden die Gerüste wieder demontiert. Die Vergütung war nach Aufmaß und Einheitspreisen gemäß Leistungsverzeichnis abzurechnen; es wurden auch Ausführungsfristen festgelegt. Dies entspricht werkvertraglichen Arbeiten an einem Bauwerk (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 29.04.2021 – 13 U 2800/19, BauR 2022, 512; KG Berlin, Urteil vom 05.08.2009, aaO.; OLG Köln, Urteil vom 26.03.1999 – 4 U 47/98 – Rn. 50, juris, BauR 2000, 1875).

Die hier zwischen den Parteien streitigen Positionen, d. h. auch die Mietpositionen nach 01.01.0014 der Rechnung vom 3.12.2020, sind allein mit der Maßgabe umstritten, die Abrechnung müsse nach den Grundsätzen für Schutzgerüste erfolgen, so die klagende Unternehmerin, während die beklagte Gemeinde meint, die Klägerin habe – abgesehen vom Dachbereich – lediglich Arbeitsgerüste gestellt.

b. Nach den gemäß VOB/C anzuwenden DIN 18451 sowie DIN 4420-1 und 4420-3 handelt es sich bei den von der Klägerin errichteten Gerüsten im Ergebnis um Schutzgerüste. Die Abrechnung für die Gerüstbauarbeiten und Gestellungszeiten hat – als Ergebnis der Beweisaufnahme – in dem hier im Streit stehenden Umfang insgesamt nach den Regelungen für Schutzgerüste zu erfolgen, weshalb das Aufmaß und die Abrechnung der Klägerin zutreffend sind.

aa. Bei der Einordnung der Gerüste als Arbeits- oder Schutzgerüst handelt es sich um eine anhand der VOB/C zu beantwortende Rechtsfrage. Dem Sachverständigen Dr. R. war insoweit auch nicht die Beantwortung dieser Rechtsfrage übertragen worden. Vielmehr sollte er lediglich eine sachverständige Einschätzung zu den Anknüpfungstatsachen abgeben, die die rechtliche Einordnung ermöglichen.

bb. Eine eindeutige vertragliche Vereinbarung über die konkrete Abrechnung als Schutzgerüst oder als Arbeitsgerüst findet sich weder in dem Auftrag, noch im Leistungsverzeichnis.

Gerade der Verweisung im Leistungsverzeichnis unter den Positionen 01.01.0001 bis 0.01.0005 auf „Arbeits- und Schutzgerüst nach DIN EN 12811-1 und DIN 4420-1 als längenorientiertes Standgerüst“ lässt sich keine eindeutige Zuordnung der Verwendungsart der Gerüste entnehmen; diese Entscheidung bleibt – anders als in der Entscheidung des LG Potsdam vom 19.04.2023 (- 6 O 276/20 -, Rn. 41 – 46, juris) – offen. Gleiches gilt für die Position 01.01.0006 Fanggerüst, die als Zulage zu den Standgerüsten der oben genannten Positionen „Arbeits- und Schutzgerüst“ gewährt wird. Es ergibt daraus nicht, ob die Gerüste in ihrer Gesamtheit als Arbeitsgerüste mit Zulage für den Dachbereich als besonders zu schützenden Bereich abgerechnet werden sollen, oder ob insgesamt als Schutzgerüste mit einer erhöhten Schutzwirkung durch die Ausprägung als Fanggerüste im Dachbereich, oder ob bis zu einer bestimmten, hier nicht näher angegebenen Höhe der bis 10 Metern Höhe errichteten Gerüste (vgl. Pos. 01.01.0005) einerseits als Arbeitsgerüst und darüber hinaus als Schutzgerüst. Auch die GPA hat in ihrer Stellungnahme vom X.X.XX ausgeführt, dass das Leistungsverzeichnis auf Leistungen ausschließlich im Dachbereich hinweise, was ein Schutzgerüst verlange. Soweit die GPA sodann wegen der Bezeichnung als Standgerüst einen Widerspruch zu „Schutzgerüst“, und „Fanggerüst“ zu erkennen meint, liegt ein solcher Widerspruch nicht vor. Der Begriff Standgerüst beschreibt keine Funktionalität, sondern den Gerüsttyp, der auf dem Boden oder dergleichen aufsteht, im Gegensatz z.B. zu einem Hängegerüst. Der Sachverständige Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 27.02.2023 bestätigt, dass aus den zur Verfügung gestellten Unterlagen und Zeichnungen eine Abrechnungsvorgabe nicht hervorgeht. Im vorliegenden Fall hilft der Text des Leistungsverzeichnisses zwar nicht, um die streitige Frage endgültig beantworten zu können. Jedoch stellt der Text klar, dass zumindest auch eine Schutzfunktion für die Arbeiten gefordert war.

cc. Nach Abschnitt 0.2 der DIN 18451 ist für die Einordnung eines Gerüsts als Arbeit- oder Schutzgerüst zunächst auf die Ausschreibung im Leistungsverzeichnis abzustellen. Denn aus den Ausschreibungsunterlagen muss hervorgehen, in welchem Umfang die ausgeschriebene Leistung auszuführen ist, damit der Bieter eine zutreffende Kalkulation erstellen kann (vgl. Beck VOB/C/Schrammel/Majer, 4. Aufl. 2021, VOB/C § 18451 Rn. 19). Da die Abrechnung nach unterschiedlichen Maßeinheiten stattfindet, wird dem Auftraggeber in Abschnitt 0.5 die Pflicht auferlegt – und in Abschnitt 5.1.2 ergänzend klargestellt -, jeweils im Leistungsverzeichnis anzugeben, welche Abrechnungseinheit für die jeweils beschriebene Position zu verwenden ist. Dabei erfolgt die Abrechnung getrennt nach Bauart und Verwendungszweck in Flächenmaßen (m2), Raummaßen (m3), Längenmaßen (m) und Anzahl (Stück) (vgl. Beck VOB/C/Schrammel/Majer, aaO., Rn 52, 139). Bei der Angabe der Verwendungsart ist die vom Gerüst zu erfüllende Funktion ausschlaggebend, also ob es der Ausführung von Arbeiten (Arbeitsgerüst), der Absturzsicherung und dem Schutz von Arbeitern, Passanten, Gerätschaften u. a. vor herabfallenden Gegenständen oder Bauteilen (Schutzgerüst) oder der vorübergehenden Stützung von Bauteilen (Trag- und Schalungsgerüst) dient (vgl. Beck VOB/C/Schrammel/Majer, aaO. Rn 21). Arbeitsgerüste sind gemäß DIN EN 12811 entsprechend der zulässigen Belastbarkeit in Last- und Breitenklassen einzuordnen, welche die Gerüstgruppen nach alter DIN 4420 abgelöst haben. Bei Schutzgerüsten wird zusätzlich eine Klassifizierung der Fanglagen und Schutzwände gemäß DIN 4420-1 in zwei Klassen verlangt, je nach Absturzhöhe bzw. Wandhöhe (vgl. Beck VOB/C/Schrammel/Majer, aaO. Rn. 26 und 27). Anders als noch in der Fassung September 2012 werden nun bei der Ermittlung der Leistung nicht mehr alleine die Maße der eingerüsteten Fläche zu Grunde gelegt, sondern die jeweilige Funktion des Gerüstes in Abhängigkeit von dessen Bauart, dessen Verwendungszweck und der jeweils zugewiesenen Abrechnungseinheit (vgl. Abschnitt 5.1.3 DIN 18451 i.d.F. 2016). In der Praxis wird diese eindeutige Trennung häufig nicht anzutreffen sein, da oftmals ein Gerüst gleich mehrere Funktionen erfüllen soll. Wird zB ein Standgerüst als Arbeitsgerüst für Fassadenarbeiten und gleichzeitig als Auflagergerüst für ein Wetterschutzdach oder zur Aufnahme eines Schutzgerüstes (Fang- oder Dachfanggerüst) gefordert, sind entsprechend Abschnitt 5.1.3 die Maße an den Außenseiten der Gerüstkonstruktion zugrunde zu legen. Dieses Standgerüst muss, ganz gleich ob es auch als Arbeitsgerüst genutzt wird, so ausgebildet sein, dass es den Anforderungen der DIN 4420-1 und der DIN EN 12811-1 genügt und die Lasten aus einem aufgesetzten Schutzdach oder Schutzgerüst aufnehmen und sicher in den Baugrund ableiten kann (vgl. Beck VOB/C/Schrammel/Majer, aaO. Rn 139 – 148 unter Hinweis auf Heiermann/Keskari, VOB/C, Kommentar Gerüstarbeiten, 6. Auflage, Abschnitt 5.1.3, Rn. 2, 3).

Vorliegend verweisen die Positionen 01.01.0001 bis 01.01.0005 auf Breiten- und Lastklassen, mithin auf Arbeitsgerüste. Diese Standgerüste der Positionen 01.01.0001 bis 01.01.0005 sind jedoch für alle Arbeiten im Dach- und Dachrandbereich des Gebäudes als Fanggerüste mit der Fanglage (FL) 2 auszuführen (vgl. Pos. 01.01.0006). Da es sich vorliegend ausweislich des Auftrags und der allgemeinen Baubeschreibung für diesen 1. Bauabschnitt an der H. Realschule in W. um Arbeiten der Dachsanierung handelt, werden einerseits Arbeiten ausgeführt, jedoch zugleich eine besondere Schutzwirkung für diese vorzunehmenden Arbeiten verlangt. Dass die Gerüste abweichend vom Auftrag und dem Leistungsverzeichnis vorliegend für unterschiedliche Phasen des Bauablaufs hintereinander oder auch gleichzeitig verschiedene Funktionen erfüllen sollten z.B. in der Rohbauphase als Schutzgerüst, bei der Fertigstellung der Fassade als Arbeitsgerüst und für Tätigkeiten am und auf dem Dach als Arbeits- und Schutzgerüst, ist weder vorgetragen, noch aus den sonstigen Umständen ersichtlich und ließen sich für den Sachverständigen Dr. R. aus den Unterlagen und Lichtbildern auch nicht erkennen (vgl. Gutachten vom 27.02.2023). Ersichtlich ging es im 1. Bauabschnitt ausschließlich um die Dachsanierung.

dd. Der Sachverständige Dr. R. hat die hier maßgeblichen Anknüpfungstatsachen, wie sie aus Auftrag und Leistungsverzeichnis bereits nahe lagen, in seinen Gutachten bestätigt. Nach seinen Feststellungen, waren die Gerüste für die Dacharbeiten vorgesehen. Es sollten sowohl vom Gerüst aus Arbeiten ausgeführt werden, als auch sollte das Gerüst als Schutz gegen Absturz für auf dem Dach beschäftigen Arbeiter dienen. Die auszuführende Arbeiten erfolgten entlang der Fassade bzw. hier der Dachtraufe. Also ist die Länge des Gerüstes maximal in der Länge der Gebäudekante zu bauen bzw. aufzumessen. Hier wurden zusätzlich auch Arbeiten auf dem Dach ausgeführt. Die Arbeiter hatten sich auch auf dem Dach zu bewegen und mussten somit auch gegen Absturz gesichert werden. Aus diesem Grund wurde dieses Gerüst nicht nur als Arbeitsgerüst ausgebildet, sondern auch als Schutzgerüst. An ein Schutzgerüst werden andere Anforderungen gestellt, die sich aus der technischen Notwendigkeit, den Schutzbedürfnissen bzw. den TRBS ergeben. Um einen Absturz vom Dach auf den Boden zu verhindern, bedarf es bestimmter detaillierter Eigenschaften, die im Grundsatz nicht identisch sind mit denen für ein reines Arbeitsgerüst. Diese Eigenschaften an ein Schutzgerüst ergeben sich aus den Mindestanforderungen der Unfallverhütungsvorschriften und den systembedingten Eigenschaften des Gerüstes und der Örtlichkeit. Aus diesem Grunde musste das Gerüst zumindest der Länge nach größer gebaut werden, als es für das reine Arbeiten notwendig gewesen wäre. Es werden hier demnach zwei Arten von Gerüsten benötigt. Da nur durch das Gerüst mit der größeren Abmessung für beide Arbeiten die notwendigen Zwecke des Gerüstes erfüllt werden, ist jene Gerüstart aufzumessen und zur Abrechnung zu bringen, mit der die Arbeiten vollumfänglich ausgeführt werden können. Hier ist das dann das Fanggerüst, da das Arbeitsgerüst im Fanggerüst aufgeht (vgl. Gutachten vom 15.02.2022 und vom 01.08.2022). In der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2022 und einer weiteren Stellungnahme vom 27.02.2023 hat der Sachverständige seine schriftlichen Angaben nachvollziehbar und überzeugend bestätigt. Abschließend hat er nochmals als eindeutiges Ergebnis zusammenfassend ausgeführt, dass die Ermittlung der Massen funktionsbezogen als Fanggerüst zu erfolgen hat, da die im Mittelpunkt stehende Leistung die Dachsanierung ist.

Die Gutachten des Sachverständigen Dr. R. und seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sind in sich nicht widersprüchlich oder unvollständig. Der Sachverständige ist für das Gericht erkennbar sachkundig. Dass sich die Beurteilungsgrundlage durch zulässige Noven verändert hat oder es neue wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten zur Beantwortung der Beweisfragen gibt, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Gründe, die gegen die Glaubwürdigkeit des Sachverständigen Dr. R. sprechen könnten, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht aus sonstigen Umständen ersichtlich. Deshalb macht sich das Gericht die Feststellungen des Sachverständigen nach selbständiger Prüfung zu eigen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde.

ee. Entsprechend den Anforderungen der GPA in ihrer Stellungnahme vom 16.04.2021 ist auch geklärt, dass die von der Auftraggeberin verwendeten „unklaren Angaben im Leistungsverzeichnis“ zu keinem von der Auftragnehmerin zu tragenden Risiko wurden. Aus oben genannten Gründen hat das erkennende Gericht keine Zweifel, dass es sich bei den Gerüsten um Schutzgerüste gehandelt hat. Diese Bewertung als Schutzgerüst bezieht sich auch auf die gesamten Gerüste, da insgesamt auf die Funktionalität „für eine Dachsanierung“ abzustellen ist.

Zwar steht es der Gemeinde als Auftraggeberin grundsätzlich frei, mit der Auftragnehmerin eine von den oben festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten abweichende Vereinbarung zur Abrechnung der beauftragten Gerüstbauarbeiten zu treffen, wie es die Beklagte und der Streithelfer zuletzt vortragen. Eine solche Vereinbarung liegt indes – wie oben unter 1. b. bb. ausgeführt – nicht vor. Dass eine solche Vereinbarung bei der vorliegend eindeutigen Sachlage wirtschaftlich durchsetzbar gewesen wäre, hält das Gericht für wenig wahrscheinlich. In anderen, zweifelhaften Fällen mag dies jedoch geboten sein, wie es auch die DIN 18451 vorsieht.

2. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus Verzug (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB). Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. Halbsatz ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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