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Verkehrsunfall – Überfahren einer Mittellinie führt nicht zu einer unklaren Verkehrslage

OLG Frankfurt – Az.: 11 U 133/11 – Urteil vom 02.01.2014

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 29.09.2011 teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,

a. an den Kläger EUR 2.115,25 nebst Zinsen in Höhe von 5 % auf dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.08.2010 sowie Zinsen in Höhe von 5 % auf dem Basiszinssatz aus EUR 2.191,92 vom 3.8.2010 bis zum 28.2.2011 zu zahlen;

b. den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 392,55 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Beklagten als Gesamtschuldner 67% und der Kläger 33% zu tragen.

Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben die Beklagten als Gesamtschuldner 22% und der Kläger 78% zu tragen.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil – soweit es bestätigt wird – sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verkehrsunfall - Überfahren einer Mittellinie führt nicht zu einer unklaren Verkehrslage
Symbolfoto: Von metamorworks /Shutterstock.com

Der Kläger begehrt Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am …2011 gegen 1.00 Uhr nachts im Bereich der Kreuzung Straße1/Straße2 in Stadt1 ereignet hat.

Der Zeuge Z1 fuhr mit dem Fahrzeug, amtl. Kennzeichen …, auf der Straße1 in Stadt1 in Richtung Stadt2. Im Einmündungsbereich der Straße2 kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 2), welches bei der Beklagten zu 1) versichert ist. Im Einmündungsbereich befinden sich eine schraffierte Fläche sowie eine durchgezogene Linien (Bl. 179 d.A.). Die Beklagte zu 2) war zum Zeitpunkt der Kollision in Begriff, von der Straße2 aus kommend nach links auf die Straße1 einzubiegen.

Das auf den Kläger zugelassene Fahrzeug erlitt einen Totalschaden. Die Beklagte zu 2) zahlte an den Kläger am 1.3.2011 einen Betrag von EUR 2.181,92. Insoweit ist der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt worden.

Ergänzend werden die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gemäß §§ 45 Abs. 1 ZPO in Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage auf Basis einer Haftungsverteilung von 60/40 in Höhe von EUR 1.145,54 stattgegeben sowie zur Freistellung von EUR 303,53 vorprozessualer Rechtsanwaltskosten verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei aktivlegitimiert. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs werden sollte; insbesondere seien Gründe für eine derart wertvolle Schenkung an den Zeugen Z1 nicht ersichtlich.

Zu ersetzen sei zum einen der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs abzüglich des Restwerts, d.h. hier EUR 4.850,00. Erstattungsfähig seien zudem die Gutachterkosten in Höhe von EUR 595,75 sowie die Ummeldekosten in Höhe von EUR 75,00. Anzuerkennen sei schließlich eine allgemeine Unkostenpauschale in Höhe von EUR 25,00 – insgesamt EUR 5.535,76. Anspruch auf Nutzungsausfall bestünde dagegen nicht, da der Kläger das Fahrzeug nicht selbst gefahren sei, sondern ein anderes Fahrzeug nutzte. Das verunfallte Fahrzeug habe allein der Zeuge Z1 genutzt. Hinsichtlich der Anwaltskosten bestünde ein anteiliger Freistellungsanspruch. Die fiktiv geltend gemachten Kosten für eine – tatsächlich nicht durchgeführte – sachverständige Untersuchung des angeschafften Ersatzfahrzeugs seien nicht ersatzfähig. Es fehle insoweit an substanziiertem Vortrag. Kein Anspruch bestünde auch für die begehrte Freistellung hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Einholung der Deckungszusage entstandenen Rechtsanwaltskosten.

Die Beklagte zu 2) hafte angesichts des von ihr begangenen Vorfahrtsverstoßes überwiegend für die Schäden. Sollte das vom Zeugen Z1 gefahrene Fahrzeug nicht gut sichtbare gewesen sein, hätte sie abwarten müssen. Der Kläger müsse sich jedoch anrechnen lassen, dass der Zeuge Z1 jedenfalls mit leicht überhöhter Geschwindigkeit und im Bereich der Einmündung unter Überfahren einer durchgezogenen Linie überholt habe. Dort sei von einer unklaren Verkehrslage auszugehen gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Fahrbahn nass gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher er die abgewiesenen Teile der Klage weiterverfolgt. Das rücksichtslose Verhalten der Beklagten zu 2), welche das klägerische Fahrzeug hätte sehen können und müssen, konsumiere jeden Tatbeitrag des Klägers. Der Zeuge Z1 habe deutlich vor dem Einmündungsbereich überholt, so dass ihm auch aus diesem Grund kein Vorwurf zu machen sei. Er habe beim Heranfahren an die Kreuzung darauf vertrauen dürfen, dass sein Vorfahrtsrecht beachtet werde. Eine unklare Verkehrslage habe nicht bestanden. Die tatsächliche Geschwindigkeit des Zeugen Z1 stehe nicht fest; allenfalls sei er mit einer um 5 km/h überhöhten Geschwindigkeit gefahren.

Der Höhe nach stünde ihm auch ein Anspruch auf Ersatz des erlittenen Nutzungsausfalls in Höhe von EUR 1.000 zu, da die drei im Haushalt des Klägers befindlichen Fahrzeuge gleichmäßig von allen Haushaltsmitgliedern, so auch dem Kläger, genutzt würden. Wiederbeschaffungskosten seien auch in Höhe von EUR 75,00 ersatzfähig. Hierbei handele es sich um die Kosten, die aufzuwenden seien, um sich im Fall der Anschaffung eines anderweitigen Gebrauchtwagens über dessen technischen Zustand zu informieren. Soweit eine derartige Untersuchung unterlassen werde, habe er Anspruch auf Ersatz fiktiver Kosten, da er das Risiko der Mangelhaftigkeit damit selbst übernommen habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Gießen teilweise abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger weitere EUR 3.353,84 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.10.2011 zu zahlen sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von weiteren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von weiteren 300,40 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussberufung, die Klage unter Abänderung des Urteil des Landgerichts Gießen vom 21.9.2011 insgesamt abzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil gegen die Angriffe der Berufung des Klägers und begehren mit ihrer Berufung die vollständige Abweisung der Klage. Es fehle noch immer an der schlüssigen Darlegung der Aktivlegitimation. Der Kläger selbst und der Zeuge Z1 hätten unstreitig gestellt, dass der Kaufvertrag vom Zeugen Z1 unterschrieben worden sei. Die Annahme, das Fahrzeug sei an den Vater weiterübereignet worden, sei ins Blaue hinein erfolgt. Die Zeugen hätten sich weder zur Frage eines Besitzkonstituts noch zur Schenkung geäußert.

Der Mithaftungsanteil des Zeugen Z1 sei zu gering bewertet. Er habe die durchgezogene Linie ausweislich der Lichtbilder nicht erst am Ende des Überholvorgangs überfahren. Tatsächlich hätte er im Einmündungsbereich überhaupt nicht überholen dürfen. Ohne nähere Grundlage sei das Gericht davon ausgegangen, dass der Zeuge Z1 zum Zeitpunkt der Kollision den Überholvorgang bereits weitgehend abgeschlossen hatte. Aus der Aussage der Zeugin Z2 ergebe sich hierzu nichts, da diese auf der anderen Fahrbahn gefahren sei als der Zeuge Z1 zum Zeitpunkt der Kollision. Aus den Lichtbildern folge ebenfalls, dass der Zeuge den Überholvorgang nicht bereits weitgehend abgeschlossen hatte.

Zu Unrecht habe das Landgericht zudem auf eine Beweiserhebung hinsichtlich der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des Zeugen Z1 verzichtet. Die Zeugin Z2 habe angegeben, dass das Fahrzeug deutlich schneller als 70 km/h gefahren sei. Die Beklagte zu 2) habe dagegen das Fahrzeug des Klägers erstmals wahrnehmen können, als sie bereits dabei gewesen sei, in die Kreuzung einzufahren.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 26.07.2012 Hinweise erteilt (Bl. 144 d.A.). Die Beklagten haben daraufhin unter anderem ausgeführt, dass die Bremsausgangsgeschwindigkeit bei mindestens 90 km/h seitens des Zeugen Z1 gelegen haben müsse (Bl. 264 d.A.). Das Fahrzeug der Zeugin Z2 – und damit auch das Klägerfahrzeug – hätten sich zum Zeitpunkt des Erreichens des Kreuzungsbereiches seitens der Beklagten zu 2) maximal auf Höhe des Verkehrsschildes „…“ (Foto 004, Bl. 233r d.A.) befunden.

Der Senat hat nachfolgend Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 23.10.2012 (Bl. 284 ff. der Akte). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten von Diplom-Ingenieur A vom 21.10.2013 vom verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls zulässig, insbesondere innerhalb der Berufungserwiderungsfrist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet (1.); die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg (2.).

1.

Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Auf Basis der durchgeführten Beweisaufnahme ist von einer Haftungsverteilung von 1/3 zu Lasten des Klägers und 2/3 zu Lasten der Beklagten auszugehen; der Höhe nach besteht auch Anspruch auf Ersatz des erlittenen Nutzungsausfalls.

a.

Ohne Erfolg greifen die Beklagten die Annahme des Landgerichts an, der Kläger sei Eigentümer des streitgegenständlichen Unfallfahrzeugs.

Die Darlegungen des Klägers, die von den Zeugen bestätigt wurden, decken vielmehr das Verständnis des Landgerichts, dass der Zeuge Z1 das Fahrzeug für den Kläger abgeholt und dabei auch den Kaufvertrag unterschrieben hatte und anschließend das Fahrzeug an den Kläger herausgegeben hat. Die rechtliche Einordnung dieses Geschehens als unentgeltlicher Auftrag im Sinne des § 662 BGB begegnet keinen Bedenken. Der Zeuge Z1 war als Beauftragter vielmehr gemäß § 667 BGB verpflichtet, dass erlangte Fahrzeug an den Kläger herauszugeben (Sprau in: Palandt/Sprau, 72. Aufl., vor § 662 Rd. 7; § 667 Rd. 7).

Die Kaufpreiszahlung des Klägers ist ein starkes Indiz dafür, dass der Zeuge Z1 im Wege eines unentgeltlichen Auftrages für seinen Vater das Fahrzeug erworben und anschließend weiter übereignet hat. Dass der Kläger den Kaufpreis entrichtet hat, wurde von den Beklagten nach Vorlage des entsprechenden Kontoauszugs nicht mehr bestritten. Soweit sie behaupten, dass es sich um ein Darlehen oder aber eine Schenkung an den Sohn handeln könnte, trifft sie die Darlegungs- und Beweislast. Es wurden weder tatsächliche Umstände ausgeführt, die die Annahme eines Darlehens oder eine Schenkung stützen würden, noch entsprechende Beweise angeboten. Der Zeuge Z1 bekundete dagegen überzeugend im Rahmen seiner Vernehmung, dass nie gesagt worden sei, dass das Fahrzeug ein Geschenk für ihn sein solle (Bl. 134 d.A.).

Ergänzende Gesichtspunkte sind zudem, dass der Kläger unstreitig die Versicherungen und Steuern entrichtet hat sowie als Halter des Fahrzeugs eingetragen ist.

Ohne Erfolg greifen die Beklagten das diese Wertung deckende Ergebnis der Beweisaufnahme an: Die Zeugin …-Z1 führte deutlich aus, dass das Fahrzeug von ihrem Mann gekauft worden sei (Bl. 135 d.A.). Sie sagte zudem, dass das Fahrzeug ihrem Mann gehöre. Schließlich erklärte sie, dass ihr Sohn das Auto geholt habe, da ihr Mann damals terminlich verhindert gewesen sei. Soweit sie zudem ergänzte, dass sie nicht mehr die genauen Modalitäten habe angeben können, spricht dies eher für die Überzeugungskraft der Aussage. Es erscheint nicht lebensnah, von rechtlichen Laien zu erwarten, da sie sich über die Konstruktion des Eigentumserwerbs im Fall der Einschaltung des eigenen Sohnes Gedanken machen. Der Zeuge Z1 gab ebenfalls an, dass das Fahrzeug seinem Vater gehört und er ist für diesen im Auftrag gekauft habe (Bl. 134 d.A.).

b.

Die Beklagten sind gem. §§ 7, 18 StVG, § 115 VVG dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet.

Die Beklagte zu 2) trifft den Vorwurf, dass Vorfahrtsrecht des Klägers gem. § 8 StVO verletzt zu haben. Grundsätzlich hat der Wartepflichtige das Vorfahrtsrecht eines herannahenden Verkehrsteilnehmers zu beachten, soweit das bevorrechtigte Fahrzeug in dem Augenblick, in dem mit dem Einfahren begonnen wird, sichtbar ist (BGH NJW-RR 1994,1303, 1304 ). Diese Voraussetzungen lagen hier vor.

Die Beklagte zu 2) hatte zwar vorgetragen, das Fahrzeug des Klägers zum Zeitpunkt des Einfahrens in den Kreuzungsbereich nicht gesehen zu haben. Der Kläger hat dies bestritten u.a. unter Hinweis auf gut sichtbare Scheinwerfer (Bl. 62 d.A.) Dass die Beklagte zu 2) das Fahrzeug des Klägers nicht sehen konnte, haben die Beklagten nachfolgend nicht nachgewiesen. Der Sachverständige hat vielmehr festgestellt, dass das Fahrzeug des Klägers für die Beklagte zu 2) deutlich erkennbar gewesen sei (Seite 18 des Gutachtens).

Aus den Lichtbildern sowie den Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. A im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass die Beklagte zu 2) ihren Abbiegevorgang bereits beendet hatte, als das klägerische Fahrzeug für sie sichtbar wurde. Insoweit wird insbesondere auf Seite 14 des Gutachtens sowie auf die Lichtbilder 001002 (Bl. 135 d.A.) Bezug genommen.

Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zu 2) ihrer Wartepflicht genügen müssen und den Abbiegevorgang erst nach dem Passieren des klägerischen Fahrzeugs beginnen dürfen. Da sich die Vorfahrtsberechtigung auf die gesamte Straßenbreite bezieht (OLG Karlsruhe BeckRS 2009, 25936), kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob der Zeuge Z1 die linke oder rechte Straßenseite zum Zeitpunkt der Kollision befuhr.

c.

Den Kläger trifft jedoch ein Mitverschuldensvorwurfs.

aa.

Er hat trotz unklarer Verkehrslage – wie bereits vom Landgericht zutreffend ausgeführt – entgegen § 5 Abs. 3 N. 1 StVO überholt.

Den Kläger trifft zwar kein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO. Demnach ist das Überholen nur dann unzulässig, wenn es durch Verkehrszeichen 276 oder 277 verboten ist. Die hier gemäß Angaben des Sachverständigen (S. 16 des Gutachtens) überfahrene durchgezogene Linie gehört nicht zu diesen Verkehrszeichen, sondern wird als Verkehrszeichen 295 geführt. Eine durchgezogene Linie enthält nicht grundsätzlich ein Überholverbot (BGH NJW-RR 1987, 1048 ).

Allein das Vorhandensein – und Überfahren – einer durchgezogenen Mittellinie führt auch noch nicht zur Annahme einer unklaren Verkehrslage i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO (vgl. Jagusch/Hentschel, StVR, 41. Aufl., § 5 Rd. 35). Da allerdings eine durchgezogene Linie grundsätzlich nur bei gefährlichen Fahrbahnverengungen, vor und im Bereich gefährlicher Kuppen und Kurven und vor gefährlichen Kreuzungen und Einmündungen angebracht werden soll (Jagusch/Hentschel ebenda § 41 Rd. 177), können insbesondere schlechte Beleuchtungsverhältnisse und/oder Nässe in Kombination mit dem durch die durchgezogene Linie besonders markierten Einmündungsbereich die Annahme einer objektive unklaren Verkehrslage rechtfertigen (ebenda). Eine unklare Verkehrslage ist zudem auch dann anzunehmen, wenn ein wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer durch das Überholmanöver gefährdet werden könnte (ebenda § 5 Rn. 34; LG Köln VR 2002, 1167; LG Leipzig Urteil vom 22.6.2011, Az: 7 O 3558/10, zitiert nach BeckRS 2012, 15209).

So liegt es hier. Der Zeuge Z1 überholte bei Dunkelheit und nasser Fahrbahn im Bereich unmittelbar vor der Einmündung. Damit verbunden war – gerade unter Berücksichtigung der Beleuchtungsverhältnisse – die Gefahr, dass die wartepflichtige Beklagte zu 2) das Fahrzeug des Klägers zeitweilig – da vom Fahrzeug der Zeugin Z2 während des Überholvorgangs partiell verdeckt – nicht oder jedenfalls nur erschwert wahrnehmen konnte.

Soweit zudem allein das Überfahren der durchgezogenen Linie ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Nr. 68 StVO beinhaltet, können sich die Beklagten darauf hier nicht berufen. Das Zeichen 295 dient allein dem Schutz des Gegenverkehrs (OLG Düsseldorf Urteil vom 10.5.2011, Az.: I – 1 U 249/10, zitiert nach BeckRS 2012, 02371).

bb.

Der Zeuge Z1 überschritt zudem die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h jedenfalls leicht; ein Überschreiten um 20 bis 30 km/h ist dagegen nicht nachgewiesen.

(1)

Aus den Angaben der Zeugen Z1 und Z2 ergibt sich, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde. Der Zeuge Z1 gab an, er habe zum Zeitpunkt der Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h auf den Tacho gesehen. Zu diesem Zeitpunkt sei er 70 km/h gefahren. Während des Überholvorganges habe er nicht auf dem Tacho gesehen. Er habe aber beschleunigt (Bl. 133, 134 d.A.). Hieraus folgt, dass er während des Überholvorgangs die zulässige Geschwindigkeit seinen eigenen Angaben nach überschritten haben muss. Insoweit kommt es auf die Vagheit der Angabe der eine überhöhte Geschwindigkeit grundsätzlich bestätigenden Zeugin Z2, sie sei vom Zeugen Z1 „flott“ überholt worden, nicht an.

(2)

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Bereich von 20 bis 30 km/h, d.h. eine Ausgangsgeschwindigkeit von 90 bis 100 km/h, ist dagegen nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.

Der Sachverständige Dipl.-Ing. A führte deutlich aus, dass rein technisch eine deutlich überhöhte Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs nicht belegbar sei (Seite 15, 17 des Gutachtens). Zu dieser Aussage kam er, nachdem er in nachvollziehbarer Weise u.a. die Endstellung der Fahrzeuge, ihren Kollisionswinkel sowie die Kollisionsgeschwindigkeit ermittelt hatte. Insbesondere die von ihm ermittelte Kollisionsgeschwindigkeit von 56-64 km/h steht demnach in Übereinstimmung auch mit den weiteren Angaben der Beklagten zum Anfahr- und Abbremsvorgang und der damit im Zusammenhang stehenden Reaktionsgeschwindigkeit (Seite 16 des Gutachtens).

Soweit der Sachverständige ergänzend darauf hingewiesen hat, dass im Fall einer unterstellten Richtigkeit der Aussage der Zeugin Z2 von einer Geschwindigkeit im Bereich von zeitweise bis zu 100 km/h auszugehen sei (Seite 17 des Gutachtens), ist allein dies keine Basis für die Überzeugungsbildung, dass der Zeuge Z1 tatsächlich mit dieser Geschwindigkeit gefahren ist. Ausgangspunkt dieser Überlegungen des Sachverständigen ist u.a. die Angabe der Zeugin Z2, sie sei selbst 70 km/h gefahren. Eine Geschwindigkeit der Zeugin Z2 von 70 km/h zum Zeitpunkt des Überholvorgangs ist jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Der Zeuge Z1 hatte ausgesagt, dass ein langsames Fahrzeug vor ihm gefahren sei (Bl. 133 d.A.). Da er zudem angab, selbst 70 km/ gefahren zu sein, kann auf Basis dieser Ausführungen die Zeugin Z2 nicht ebenfalls 70 km/h gefahren sein. Stehen sich damit die protokollierten Aussagen der Zeugen gegenüber, liegt keine hinreichende Grundlage für eine Überzeugungsbildung dahingehend vor, dass der Zeuge Z1 tatsächlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit ganz erheblich überschritten hat. Allein der Umstand, dass die Zeugin Z2 „neutral“ ist, genügt nicht für die Annahme, dass ihren Angaben grundsätzlich höheres Gewicht zukommt. Dies bereits vor dem Hintergrund ihrer eigenen unstreitigen Bekundung, Geschwindigkeiten schwer einschätzen zu können.

d.

Unter Abwägung der dargestellten Verursachungsbeiträge und zuzurechnenden Gefahrenmomente erscheint eine Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 sachgerecht (vgl. auch OLG Düsseldorf vom 10.05.2011, I – 1 U 149/10). Der Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 2) überwiegt die Pflichtverletzungen des Zeugen Z1 erheblich. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zum einen fest, dass dem Zeugen Z1 keine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung nachzuweisen ist. Die Berechnungen des Sachverständigen belegen zudem, dass die durchgezogene Linie erst im Zusammenhang mit dem Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahn überfahren wurde. Die dargestellten Pflichtverletzungen des Zeugen Z1 stellen sich jedoch auch nicht als so geringfügig dar, dass sich der Kläger allein die Betriebsgefahr des involvierten Fahrzeuges zurechnen lassen müsste.

e.

Der Höhe nach sind für die Quotierung Schadenspositionen mit einem Gesamtbetrag von EUR 6.445,75 anzusetzen:

aa.

Auszugehen ist zunächst von den Schadenspositionen, die das Landgericht angenommen hat. Diese wurden von den Beklagten nicht im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO angegriffen. Anzusetzen sind damit

Wiederbeschaffungswert in Höhe von  4.850,00 € abzgl. Restwert von 100 €

Gutachterkosten von 595,75 €

Ummeldekosten in Höhe von 75,00 €

allgemeine Pauschale  25,00 €

5.445,75 €

bb.

Diesem Betrag sind EUR 1.000 (20 Tage a 58 EUR) als Ersatz für den erlittenen Nutzungsausfall hinzuzusetzen, so dass sich ein Gesamtbetrag von EUR 6.445,75 ergibt.

Der Geschädigte hat Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung, wenn der Ausfall des Fahrzeugs zu einer fühlbaren vermögenserheblichen Entbehrung führt (BGH NJW 1976, 286 ). Eine derartige Entbehrung entsteht nicht, wenn der Geschädigte das Fahrzeug ohnedies nicht nutzen wollte oder konnte. Es gilt der Grundsatz der Subjektbezogenheit des Schadens. Steht etwa dem Geschädigten ein zweites Fahrzeug zur Verfügung, welches sonst ungenutzt gelassen worden wäre, kommt dieser Umstand dem Schädiger zugute. Vorliegend hat der Kläger indes nachweisen können, dass in seinem Haushalt zwar insgesamt drei Fahrzeuge vorhanden sind, diese aber auch von drei nutzungswilligen und -fähigen Haushaltsmitgliedern genutzt werden. Insoweit kann er sich auf die Vermutung des Nutzungswillens berufen. Die Beklagten hätte demnach nachweisen müssen, dass kein Nutzungswille vorhanden war. Entsprechende Beweisangebote liegen nicht vor:

Der Zeuge Z1 hatte ausgeführt, dass das hier streitgegenständliche Fahrzeug gekauft worden sei, da drei Personen im Haushalt lebten, die zu unterschiedlichen Zeiten mit einem Kraftfahrzeug zur Arbeiten führen (Bl. 135 d.A.). Dies steht in Übereinstimmung mit den Angaben der Zeugin …-Z1. Sie bekundete, dass das hier streitgegenständliche Fahrzeug gekauft worden sei, um organisatorische Probleme unter anderem mit dem Abholen der Kinder zu lösen (Bl. 135 d.A.).

Soweit sich im landgerichtlichen Urteil die Aussage findet, dass allein der Sohn des Klägers das hier streitige Fahrzeug benutzt habe (Bl. 146 d.A.), handelt es sich um eine Behauptung der Beklagten, die vom Kläger bestritten wurde. Da der Kläger sich grundsätzlich als Eigentümer auf die Vermutung des Nutzungswillens berufen kann, wäre es Aufgabe der Beklagten gewesen, nachzuweisen, dass kein Nutzungswille vorlag. Dies ist ihnen nicht gelungen. Die protokollierten Angaben enthalten an keiner Stelle den Hinweis, dass allein der Sohn das Fahrzeug genutzt habe.

Die Höhe der angesetzten Nutzungsentschädigung ist zwischen den Parteien unstreitig.

cc.

Der Kläger begehrt dagegen ohne Erfolg Ersatz fiktiver Gutachterkosten für die Anschaffung eines anderweitigen Gebrauchtwagens in Höhe von EUR 75,00.

Zwar kann der Geschädigte, dessen Kraftfahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hat, zusätzlich zum Ersatz des Fahrzeugschadens einen angemessenen Betrag für eine – tatsächlich durchgeführte – gründliche sachverständig technische Überprüfung eines zu erwerbenden gleichwertigen Ersatzfahrzeugs beanspruchen (BGH NJW 1978, 1373 ; OLG Frankfurt am Main NJW 1990, 3212, 3113; OLG Celle Urteil vom 26.11.2008, Az: 14 U 45/08, zitiert nach BeckRS 2008, 25856; Jagusch/Hentschel, ebenda § 12 StVG Rd. 14). Hieraus folgt jedoch nicht, dass ohne weitere Darlegungen zur Erforderlichkeit einer Sachverständigen-Überprüfung grundsätzlich fiktiv eine derartige Pauschale anzuerkennen ist. Vielmehr ist die Zuerkennung eines derartigen Anspruchs – wie auch sonst im Schadensersatzrecht – davon abhängig, dass eine sachverständige Überprüfung erforderlich ist bzw. dem Käufer im Fall der fiktiven Abrechnung von Gutachterkosten infolge unterlassener Untersuchung ein vermögenswertes Risiko trifft, welches auszugleichen ist (OLG Frankfurt am Main ebenda; OLG Celle ebenda). Eine derartige Überprüfungsnotwendigkeit kann gerade nicht grundsätzlich unterstellt werden. Vielmehr ist sie etwa dann nicht anzunehmen, wenn das Fahrzeug bereits sachverständig untersucht wurde, es von einem seriösen Gebrauchtwagenhändler gekauft wird oder aber eine ausreichend lange Garantieerklärung bezüglich Mängelfreiheit und Vermittlungstätigkeit abgegeben wurde (OLG Frankfurt am Main ebenda; OLG Celle ebenda).

Vor diesem Hintergrund wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, die Voraussetzungen für den geltend gemachten fiktiven Kostenersatz von pauschal EUR 75 näher zu substanziieren. Daran fehlte es bereits im erstinstanzlichen Verfahren. Der Kläger hatte den Anspruch stets nur unter Hinweis auf das zitierte Urteil des OLG Frankfurt am Main begründet, in welchem die zitierten Voraussetzungen der Erforderlichkeit aufgeführt werden; er hatte jedoch nicht näher dazu vorgetragen, von wem und unter welchen Umständen das Fahrzeug erworben worden war. Trotz der Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, dass für den geltend gemachten Anspruch substanziierter Vortrag fehle, hat der Kläger auch in der Berufungsinstanz hierzu nicht näher vorgetragen.

dd.

Ausgehend von der dargestellten Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 ergibt sich ein Zahlungsanspruch auf den Gesamtschaden in Höhe von EUR 4.297,17. Hierauf haben die Beklagten bereits unstreitig EUR 2.181,92 gezahlt, so dass ein restlicher Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 2.115,25 verbleibt.

ee.

Soweit das Gericht außergerichtliche Anwaltskosten zur Geltendmachung des Anspruchs auf Basis der angenommenen Quote anerkannt hat, ist dieser Folgeanspruch auch ohne explizite Angriffe i.S.d. § 520 Abs. 3 ZPO im Hinblick auf die erkannte Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 auf EUR 392,55 zu korrigieren. Ausgehend von dem begründet geltend gemachten Anteil in Höhe von EUR 4.297,17 von der Gesamtforderung von EUR 6.620,76 ergibt sich eine Quote von 65%. Dem Kläger steht damit ein Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von EUR 392,55 zu.

Die vom Kläger erstinstanzlich geltend gemachte Freistellung von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der Einholung einer Deckungszusage werden ausweislich der Berufungsbegründung, in welcher sich hierzu keine weiteren Ausführungen finden, dagegen nicht im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO nicht weiterverfolgt.

2.

Aus den vorgenannten Erwägungen hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Entscheidung auf der Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall beruht und damit keine Zulassungsgründe im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen.

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