KG Berlin – Az.: 25 U 139/21 – Urteil vom 06.07.2022
Auf die Berufung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten wird das am 30. November 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 46 O 174/21 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung geändert:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.757,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Oktober 2020 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftige materiellen Schäden nach einer Haftungsquote von 50% zu ersetzen, die ihr durch das Unfallereignis am 13. September 2020 in Berlin entstanden sind.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden nach einer Haftungsquote von 50% zu ersetzen, die ihr aus der Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung bei der xxx Versicherung x wegen des Unfalls vom 13. September 2020 (Schaden Nr. xxx) entstanden sind.
4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 334,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Oktober 2020 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1. 3.571,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juni 2021 zu zahlen.
7. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Von den in der ersten Instanz entstandenen Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 34%, die Klägerin alleine weitere 10%, die Beklagten als Gesamtschuldner 22% und der Beklagte zu 1. alleine weitere 34 %.
Von den in der ersten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 22% und der Beklagte zu 1. weitere 34%.
Von den in der ersten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 34% und die Klägerin alleine weitere 10%.
Von den in der ersten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. trägt die Klägerin 33%.
Von den in der ersten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der Beklagte zu 1. 50%.
Im Übrigen tragen die Parteien ihre in der ersten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Von den in der zweiten Instanz entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 39% und der Beklagte zu 1. alleine weitere 61 %.
Der Beklagte trägt die in der zweiten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten.
Im Übrigen tragen die Parteien ihre in der zweiten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Klägerin und der Beklagte zu 1. machen wechselseitig Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis vom 13. September 2020 geltend.
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Diese werden wie folgt ergänzt:
Wegen der Einzelheiten der Fahrbahnmarkierungen und Beschilderungen am Unfallort wird auf das von der Klägerin mit ihrer Klageschrift zur Akte gereichte Lichtbild (Bl. 3 d.A.) sowie auf den beigezogenen Beschilderungsplan (Bl. 96 d.A.) Bezug genommen, wobei die roten Markierungen in letzterem zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles noch nicht umgesetzt waren.
Die Klägerin hat im Hinblick auf ihre Behauptung, sie habe wegen des Unfallereignisses nur eine Kaskoentschädigung von 3.186,79 EUR erhalten, auf das als Anlage K 5 zur Akte gereichte Abrechnungsschreiben der xxx Versicherung vom 5. November 2020 (Bl. 28 f d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagten haben die Unfallversion der Klägerin mit Ausnahme des behaupteten Zusammenstoßes bestritten. Sie machen geltend, die Klägerin habe das Recht des Beklagten zu 1. auf freie Fahrstreifenwahl beim Abbiegen nicht beachtet.
Sie haben zudem im Hinblick auf § 86 VVG die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten und geltend gemacht, die Vollkaskoversicherung der Klägerin habe auch die Sachverständigenkosten erstattet. Die Höhe eines Rückstufungsschadens sei nicht substanziiert.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. November 2021 abgewiesen und der Widerklage in vollem Umfange stattgegeben. Zur Begründung führt das Landgericht aus, die Klägerin habe als außen eingeordnete Verkehrsteilnehmerin nicht den sie beim parallelen Abbiegen treffenden erhöhten Sorgfaltspflichten entsprochen, wonach sie den innen Abbiegenden durchgängig sorgfältig beobachten müsse, nicht in Bedrängnis bringen oder gefährden dürfe und ihm notfalls den Vortritt lassen müsse. Ein Fahrstreifenwechsel des Beklagten zu 1. liege demgegenüber nicht vor. Ihm habe ein Vortrittsrecht gegenüber der Klägerin zugestanden und keine Verpflichtung zum Spurhalten getroffen.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem vor der Einmündung des xxx Damms vorhandenen Richtzeichen, da nur Richtungspfeile auf der Fahrbahn unmittelbar vor der Einmündung die künftige Fahrtrichtung in der Einmündung vorschrieben, wenn zwischen ihnen Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295) oder Leitlinien (Zeichen 340) angebracht sind. Einen entsprechenden Ge- oder Verbotscharakter beinhalte das Zeichen 439 gerade nicht.
Gegen dieses ihnen am 6. Dezember 2021 zugestellte Urteil haben die Klägerin am 16. Dezember 2021 und die Drittwiderbeklagte am 23. Dezember 2021 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 3. März 2022 begründet.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre Ersatzansprüche nur noch in Höhe einer auf die Beklagten entfallenden Haftungsquote von 50% weiter und wehrt sich zusammen mit der Drittwiderbeklagten nur noch gegen eine Inanspruchnahme durch den Beklagten zu 1. mit einer Haftungsquote von mehr als 50%.
Die Berufungskläger sind der Meinung, auf der Grundlage ihrer unstreitig gebliebenen erstinstanzliche Unfallschilderung sei dem Beklagten zu 1. selbst unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach dem innen Abbiegenden ein Vorrang bei der Fahrstreifenwahl zustehe, eine Verletzung der ihn nach § 1 Abs. 2 StVO treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme vorzuwerfen. Er hätte sich zudem an das Rechtsfahrgebot des § 9 Abs. 1 StVO halten müssen.
Die Klägerin macht mit der Berufung ihre Selbstbeteiligung in der Kaskoversicherung von 500,00 EUR, eine Wertminderung von 500,00 EUR, die Kosten des von ihr eingeholten Schadensgutachtens von 747,04 EUR sowie Nebenkosten in Höhe von 10,00 EUR geltend. Ihre Zukunftsschäden aus dem Unfall und den Prämienrückstufungsschaden will sie nur noch in Höhe eines Haftungsanteils von 50% festgestellt wissen. Im Hinblick auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten fordert sie nunmehr auf der Basis eines Gegenstandswertes von 3.220,65 EUR die Erstattung von 413,64 EUR.
Im Hinblick auf die Widerklage wenden sich die Klägerin und die Drittwiderbeklagte gegen eine Verurteilung zum Ersatz von mehr als der Hälfte des vom Beklagten zu 1. geltend gemachten Schadens.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. November 2021 abzuändern und
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.757,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Oktober 2020 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen Schäden mit einer Haftungsquote von 50% zu ersetzen, die ihr durch das Unfallereignis am 13. September 2020 in Berlin entstanden sind,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden mit einer Haftungsquote von 50% zu ersetzen, die ihr aus der Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung bei der xxx Versicherung x wegen des Unfalls vom 13. September 2020 (Schaden Nr. xxx) entstanden sind,
4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Oktober 2020 zu zahlen.
Die Klägerin und die Drittwiderbeklagte beantragen, das angefochtene Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. November 2021 abzuändern und die (Dritt-)Widerklage abzuweisen, soweit die (Dritt-)Widerbeklagten als Gesamtschuldner verurteilt wurden, an den Beklagten zu 1. einen Betrag von mehr als 3.571,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juni 2021 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
B.
I.
Die Berufungen der Klägerin und der Drittwiderbeklagten sind nach §§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO statthaft und zulässig. Soweit mit Schriftsatz vom 2. Februar 2022 eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist unter Bezugnahme auf die im Namen der Drittwiderbeklagten eingelegte „Berufung vom 23.12.2021“ beantragt wurde, versteht der Senat dies in interessengerechter Auslegung dieses Schriftsatzes dahingehend, dass sich die Fristverlängerung auf beide Berufungen, die der Klägerin und die der Drittwiderbeklagten, beziehen sollte. Beide Berufungen werden beim Prozessbevollmächtigten der Berufungskläger und beim Kammergericht unter den gleichen, im Schriftsatz vom 2. Februar 2022 angegebenen Aktenzeichen geführt. Das in dem Schriftsatz enthaltene Kurzrubrum führt auch die Klägerin auf. Der geltend gemachte Verlängerungsgrund betrifft beide Berufungen gleichermaßen.
II.
1. Die in der Berufungsinstanz weiter verfolgten Feststellungsanträge sind zulässig. Die Beklagten bestreiten jeglichen Schadensersatzanspruch der Klägerin. Diese hat dargetan, dass im Hinblick auf die bei einer Reparatur ihres Fahrzeuges fällig werdende Umsatzsteuer und Nutzungsausfallentschädigung die Möglichkeit weiterer zukünftiger Schäden droht. Das gilt auch im Hinblick auf einen durch die Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung für die Schadensregulierung drohenden Rückstufungsschaden. Ob der Höherstufungsschadens zutreffend dargelegt wurde, kann in diesem Zusammenhang dahin stehen, da hiermit jedenfalls gerechnet werden muss. Diese Möglichkeit weiterer Schäden reicht zur Begründung eines Feststellungsinteresses aus (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99 -, juris; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 – VI ZR 133/06 -, juris). Selbst wenn der Rückstufungsschaden ganz oder z.T. bereits eingetreten sein sollte, bleibt der diesbezügliche Feststellungsantrag zulässig, weil sich der Schaden im Übrigen noch in der Entwicklung befindet (vgl. BGH NJW-RR 2016, 759).
2. Zutreffend und von der Berufung auch nicht angegriffen geht das Landgericht davon aus, dass sich das Unfallereignis weder für die Klägerin, noch für den Beklagten zu 1. als ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt, und sich die Haftungsverteilung gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG nach den Verursachungs- und Verschuldensanteilen der Unfallbeteiligten unter Berücksichtigung der von ihren Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr richtet. Im Rahmen der dabei durchzuführenden Abwägung sind neben unstreitigen Tatsachen nur – ggfl. auch im Wege des Anscheinsbeweises – bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. BGH VersR 1967, 132; KG VersR 1973, 1049), wobei derjenige die Umstände zu beweisen hat, die dem anderen zum Verschulden gereichen (vgl. BGH NJW 1996, 1405).
a. Nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Landgerichts geriet der Beklagte beim Abbiegen nach rechts in den xxx Damm so weit nach links, dass es zu einer Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug kam. Die Klägerin hat insoweit in der ersten Instanz vorgetragen, sie sei unter Setzen des Blinkers in einem weiten Bogen nach rechts in Richtung des linken Fahrstreifens des xxx Damms abgebogen und habe dabei einen gedachten Fahrstreifen für Rechtsabbieger aus der linken Rechtsabbiegerspur der xxx Straße in die linke Geradeausspur des xxx Damms eingehalten, während der Beklagte zu 1. ohne Ankündigung und ohne auf mit ihm abbiegenden Verkehr zu achten, den gedachten Fahrstreifen nach links gewechselt habe und dabei gegen die rechte Seite ihres Fahrzeuges gestoßen sei. Die Beklagte haben zwar die klägerische Sachdarstellung mit Ausnahme der Kollision als solcher bestritten, eine hiervon abweichende Unfallschilderung aber nicht vorgetragen und auch die sich mit der klägerischen Unfallversion jedenfalls z.T. deckenden tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts unangefochten gelassen. Stattdessen setzen sie sich im Wesentlichen mit der rechtlichen Bewertung des Unfallereignisses, insbesondere einem freien Recht des Beklagten zu 1. zur Fahrstreifenwahl auseinander. Vor diesem Hintergrund entspricht das pauschale Bestreiten des von der Klägerin konkret geschilderten Unfallablaufs nicht den Anforderungen, die gemäß § 138 Abs. 2 ZPO an die Erklärungslast der Beklagten zu stellen sind. Vielmehr hätten sie erläutern müssen, von welchem (abweichenden) Sachverhalt sie ausgehen (vgl. BGHZ 200, 350). Da sie das nicht getan hat, ist das pauschale Bestreiten der Beklagten unbeachtlich (vgl. BGH NJW 2010, 1357) und – wie im Termin vom Senat unwidersprochen dargestellt -von der erstinstanzlichen Unfallschilderung der Klägerin auszugehen.
b. aa. Hiernach ist dem Beklagten zwar keine Verletzung der beim Fahrstreifenwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO bestehenden Sorgfaltspflichten vorzuwerfen. Der Unfall ereignete sich nach dem Vorbringen der Klägerin noch im Einmündungsbereich des xxx Dammes, in dem sich ausweislich des vom Landgericht beigezogenen Beschilderungsplans keine markierten Fahrstreifen befinden. Während des Querens eines nicht markierten Kreuzungs- oder Einmündungsbereiches stellt ein Wechsel von einer (gedachten) Fahrspur in die andere keinen Spurwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO dar (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 75/06 -, juris m.w.N.).
bb. Der Beklagte hat aber gegen die straßenverkehrsrechtliche Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO sowie gegen das aus § 2 Abs. 2 S. 1 StVO resultierende Rechtsfahrgebot verstoßen.
Grundsätzlich leitet sich beim parallelen Rechtsabbiegen zwar aus § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO ein Vortrittsrecht des äußerst rechts eingeordneten Fahrzeugs gegenüber einem weiter links fahrenden Fahrzeug ab (vgl. KG DAR 2005, 24; KG Schaden-Praxis 2004, 113). Dieses Vortrittsrecht kann jedoch dann nicht stets bestehen, wenn ein paralleles Abbiegen in eine mehrspurige Straße durch Richtungspfeile geboten und ein Fahren in mehreren Reihen nebeneinander möglich ist, da dies dem in der Schaffung von mehr nutzbarem Verkehrsraum liegenden Ziel der Richtungspfeile nicht entspricht. In einem solchen Fall muss beim paarweisen Rechtsabbiegen der links Fahrende den Bogen so weit nehmen, dass er die in der rechten Spur fahrenden Fahrzeuge nicht in Bedrängnis bringt und umgekehrt gilt für den rechts Fahrenden das gleiche. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – an der Haltelinie der Kreuzung bzw. Einmündung Fahrbahnmarkierungen und Richtungspfeile enden und nicht über den Kreuzungsbereich in die Straße, in die abgebogen wird, fortgeführt werden. In diesen Fällen besteht zwischen den übereinstimmend mit den Richtungspfeilen vor der Einmündung mehrspurig nach rechts eingeordneten Fahrzeugen grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 75/06 -, juris). Vielmehr ist über § 1 Abs. 2 StVO die für den Spurwechsel geltende Sorgfalt zu beachten. Außerdem ist der rechts eingeordnete Fahrzeugführer durch das Rechtsfahrgebot in § 2 Abs. 2 Satz 1 StVO gehalten, beim Abbiegen die ihm mögliche rechte Position einzunehmen, während der linke Fahrzeugführer eine besondere Sorgfalt walten zu lassen hat, den rechts neben ihm befindlichen Verkehr zu beobachten und – ebenso wie der rechts eingeordnete Fahrzeugführer – das parallele Abbiegemanöver zügig und gefahrlos für die Beteiligten durchzuführen (vgl. BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. November 2013 – I-1 U 222/12 -, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. März 2014 – I-1 U 68/13 -, juris).
Gegen diese Pflichten hat der Beklagte zu 1. verstoßen, indem er unter Inanspruchnahme eines vermeintlichen Vortrittsrechts ohne Ankündigung und ohne auf die mit ihm abbiegende Klägerin zu achten den (gedachten) Fahrstreifen nach links verließ und dabei gegen die rechte Seite des klägerischen Fahrzeuges stieß.
Zwar war hier auf der von der Klägerin genutzten Fahrspur der xxx-Straße kein die Fahrtrichtung vorgebender Richtungspfeil i.S.v. Zeichen 297 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO aufgezeichnet, sondern nur ein sog. Vorwegweiser i.S.v. Zeichen 439 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO aufgestellt. Nach Auffassung des Senates ist die o.g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedoch auf die vorliegende Konstellation übertragbar. So soll das Richtzeichen 439 nach Maßgabe des § 42 Abs. 1 StVO und seiner Begründung (vgl. BR-Drucksache 420/70, S. 85) die Verkehrsteilnehmer zu einem rechtzeitigen Einordnen anhalten und der Erleichterung des Verkehrs, d.h. einem besseren Verkehrsfluss dienen. Damit lässt sich die Funktion, die der Bundesgerichtshof mit den Richtungspfeilen i.S.v. Zeichen 297 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO verbindet, nämlich eine bestmögliche gefahrlose Nutzung des vorhandenen Verkehrsraumes, auch auf das Richtzeichen 439 übertragen, wenn auch mit der Besonderheit, dass aus der als Abbiegespur empfohlenen Fahrspur nicht abgebogen werden muss, dies aber geschehen kann. Der rechts eingeordnete Fahrzeugführer muss aber angesichts der deutlichen, bei dichtem Verkehr in der Regel sogar besser als bei auf der Fahrbahn angebrachten Markierungen wahrnehmbaren Ankündigung eines doppelspurigen Abbiegens durch den Vorwegweiser mit einer entsprechenden Fahrweise des links neben ihm eingeordneten Verkehrsteilnehmers rechnen und sich hierauf in seiner Fahrweise gemäß § 1 StVO einstellen. Auf den Verbots- bzw. Gebotscharakter der die Verkehrsströme vorgebenden Zeichen kann es insoweit nicht entscheidend ankommen. So hat etwa auch das Oberlandesgericht München in einem Fall, in dem auf der linken Spur ein kombinierter Geradeaus-/Rechtsabbiegerpfeil, d.h. ebenfalls kein Abbiegegebot vorlag, entschieden, dass der auf der rechten Spur eingeordnete Rechtsabbieger die seiner Einordnung vor der Kreuzung entsprechende rechte Spur hätte einhalten müssen (vgl. OLG München, Urteil vom 01. Dezember 2017 – 10 U 3025/17 -, juris).
cc. Aber selbst wenn man vorliegend von einem Vortrittsrecht des Beklagten zu 1. ausginge, hätte das Landgericht jedenfalls nicht jegliche Haftung der Beklagten verneinen dürfen, denn das Richtzeichen hätte dem Beklagten zu 1. zumindest verdeutlichen müssen, dass mit einem doppelspurigen Abbiegen nach rechts in den xxx Damm zu rechnen ist und auch er eine gewisse Vorsicht gegenüber anderen abbiegenden Verkehrsteilnehmern walten lassen muss. Diese Vorsicht hätte beinhaltet, nicht ohne weitere Zeichensetzung und Rückschau während des Abbiegevorgangs nach links zu ziehen. Dem hat der Beklagte zu 1. nicht entsprochen.
c. aa. Ob auch der Klägerin ein Verschuldensvorwurf zu machen ist, weil sie den offensichtlich versetzt vor ihr abbiegenden Beklagten zu 1. nicht ausreichend beobachtete und auf dessen Abweichen von der (gedachten) rechten Fahrspur trotz bestehender Möglichkeit nicht unfallverhütend reagierte, kann dahin stehen, denn sie geht im Berufungsverfahren nur von einer hälftigen Mithaftung der Beklagtenseite aus, die im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG gebotenen Abwägung auch im Falle eines Mitverschuldens der Klägerin im vordargestellten Sinne gerechtfertigt wäre.
bb. Den Anscheinsbeweis eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 StVO (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01. November 2018 – 22 U 128/17 -, juris) muss sie jedenfalls nicht gegen sich geltend lassen, wenn man – wie hier – aufgrund des durch das Richtzeichen 439 gebotenen parallelen Rechtsabbiegens einen Vorrang des aus der rechten Spur Abbiegenden verneint.
3. Die Klägerin kann nach dem sog. Quotenvorrecht in der Kaskoversicherung den auf die Selbstbeteiligung entfallenden Teil der Reparaturkosten von 500 EUR, einen Minderwert von 500,00 EUR und die Sachverständigenkosten von 747,04 EUR als sog. kongruente Schäden ersetzt verlangen, da sie von der Leistungen ihrer Vollkaskoversicherung nicht abgedeckt wurden (vgl. BGHZ 13, 28; BGH MDR 82, 398). Nur der darüber hinausgehende Restanspruch geht gemäß § 86 VVG auf die Kaskoversicherung über (Differenztheorie).
a. Der Senat schätzt die an dem Fahrzeug der Klägerin unfallbedingt eingetretene Wertminderung auf der Grundlage des von der Klägerin eingereichten Privatgutachtens des KfZ-Sachverständigen xxx vom xx. September 2020 auch in Ansehung dessen, dass es sich um ein noch relativ neuwertiges Fahrzeug handelte, das immerhin einen Reparaturschaden von 4.362,83 EUR brutto erlitten hat, gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 500,00 EUR. Soweit die Beklagten eine entsprechende Wertminderung bestreiten, ist dies ohne Substanz. Gerade von der mit der Regulierung von Unfallschäden vertrauten Beklagten zu 2. kann eine nähere Befassung mit dem von der Klägerin vorgelegten Schadensgutachten und den darin enthaltenen Ausführungen zur Bemessung des Minderwertes erwartet werden.
b. Soweit die Beklagten im Hinblick auf die Sachverständigenkosten einen Anspruchsübergang gemäß § 86 VVG auf die Kaskoversicherung behaupten und damit die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede stellen, fehlt ihrem Vortrag ebenfalls die notwendige Substanz, denn es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Vollkaskoversicherung der Klägerin auch die Sachverständigenkosten beglichen hat. Die Klägerin hat dies in Abrede gestellt. Dem von ihr zur Akte gereichten Abrechnungsschreiben der xxx Versicherung xx vom x. November 2020 ist zu entnehmen, dass lediglich die Reparaturkosten abzüglich der bei der Klägerin verbleibenden Selbstbeteiligung erstattet wurden.
Im Hinblick auf die Sachverständigenkosten kann auch dahin stehen, ob die Klägerin diese bereits beglichen hat, denn in entsprechender Anwendung des § 250 S. 2 1. HS BGB kann sie Zahlung und nicht lediglich Freistellung verlangen, da die Beklagte zu 2. eine Schadensersatzleistung wegen des Unfallereignisses mit Schreiben vom 30. Oktober 2020 ernsthaft und endgültig verweigert hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1986 – VIII ZR 153/85 -, juris) und sich der Beklagte zu 1. dies nach Ziffer 5.2 AHB zurechnen lassen muss.
4. Da der Anspruchsübergang im Rahmen des § 86 VVG und ein darauf beruhendes Quotenvorrecht des Geschädigten nur in dem Bereich eintritt, der von der Kaskoversicherung grundsätzlich abgedeckt wird, erfasst er keine sog. nichtkongruenten Positionen, zu denen die von der Klägerin geltend gemachte Unkostenpauschale und die Anwaltskosten gehören.
Im Hinblick auf die nichtkongruenten pauschalen Unkosten steht der Klägerin ein Anspruch in Höhe von 10,00 EUR zu.
5. Zwar kann die Klägerin insgesamt nicht mehr fordern, als ihr ohne die Leistungen ihrer Kaskoversicherung zusteht. Das wären im Falle der Klägerin 2.514,05 EUR (Nettoreparaturkosten nach Abzug alt für neu in Höhe von 3.761,06 EUR zzgl. 500,00 EUR Wertminderung zzgl. 747,04 EUR Gutachterkosten zzgl. 20,00 EUR Unkostenpauschale = 5.028,10 EUR/2). Diese Kappungsgrenze ist mit den geltend gemachten 1.757,04 EUR nicht erreicht.
6. Den Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten kann die Klägerin nur nach einem Gegenstandswert von 2.514,05 EUR verlangen. Ein Anspruch auf fiktive Kosten einer Notreparatur stand ihr nicht zu, da die Erforderlichkeit einer Notreparatur vor Veranlassung einer vollständigen Schadensbeseitigung nicht ersichtlich ist. Demgemäß kann ein solcher Schadensersatzanspruch auch nicht in die Bemessung des Gegenstandswertes für die Anwaltsgebühren einfließen. Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargetan, dass vorprozessual bereits der künftige Anfall der Umsatzsteuer und einer Nutzungsentschädigung sowie der Rückstufungsschaden geltend gemacht wurden. Hiernach belaufen sich die erstattungsfähigen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten unter Zugrundelegung einer 1,3 Geschäftsgebühr von 261,30 EUR zzgl. 20,00 EUR pauschaler Auslagen und der Umsatzsteuer auf 334,75 EUR. Auch hier kann die Klägerin aufgrund der mit Schreiben vom 30. Oktober 2020 erklärten Erfüllungsverweigerung der Beklagten zu 2. in entsprechender Anwendung des § 250 S. 2 1. HS BGB Zahlung und nicht lediglich Freistellung verlangen.
7. Die Feststellungsanträge sind ebenfalls begründet, da die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen des damit geltend gemachten Schadensersatzanspruchs vorliegen, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 – VI ZR 133/06 -, juris). Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, kann offen bleiben, da diese hier zu bejahen ist.
8. Da sich der Beklagte zu 1. im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung aus den oben dargestellten Gründen ein hälftiges Mitverschulden zurechnen lassen muss, reduziert sich die ihm zustehende Widerklageforderung auf 3.571,77 EUR.
9. Die Zinsentscheidungen basieren auf §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 291, 288 Abs. 1 BGB.
C.
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 ZPO.
2. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
3. Der Senat lässt gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Revision im Hinblick auf die Frage zu, ob – entsprechend dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Dezember 2006, Az. VI ZR 75/06, – auch zwischen Fahrzeugen, die in Übereinstimmung mit einem sog. Vorwegweiser (Richtzeichen 439 zu § 42 StVO) vor einer Einmündung mehrspurig nach rechts eingeordnet sind und nach rechts abbiegen wollen – grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs besteht, sondern beide Fahrzeuge ihren Bogen so weit nach links bzw. nach rechts nehmen müssen, dass sie den jeweils in der anderen (gedachten) Spur Fahrenden nicht in Bedrängnis bringen.