Unfallursache und Haftungsverteilung: PKW trifft Radlerin am Kreisverkehr
In einem interessanten Urteil (AG Stade – Az.: 61 C 236/20 – Urteil vom 27.08.2020) hat das Amtsgericht Stade einen Verkehrsunfall beurteilt, der sich zwischen einem aus einem Kreisverkehr herausfahrenden PKW und einer querenden Radfahrerin ereignet hat. Im Zentrum des Streits stand die Frage der Haftungsverteilung, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob der Radfahrerin ein Vorfahrtsrecht zustand und ob sie unfallbedingte Verletzungen erlitten hatte. Während der PKW-Fahrer die Ansicht vertrat, dass der Radfahrerin keine Verletzungen entstanden waren und sie sich eine hälftige Mithaftung entgegenhalten lassen müsste, sah das Gericht dies anders.
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Übersicht
Detaillierte Untersuchung der Haftungsfrage
Das Gericht führte eine genaue Untersuchung der Haftungsfrage durch und stellte fest, dass die Radfahrerin keine Vorfahrtsberechtigung hatte, da die erforderliche Widmung durch die Straßenverkehrsbehörde und die erforderliche Kennzeichnung vor Ort fehlten. Dies führte zu einer Haftungsquote von 25 % zu Lasten der Radfahrerin und 75 % zu Lasten des PKW-Fahrers. Entscheidend hierfür waren auch die speziellen Umstände des Unfalls, insbesondere der Straßenverlauf, die Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge, die Witterungsverhältnisse und die Erkennbarkeit der unfallträchtigen Situation.
Betrachtung des individuellen Fehlverhaltens
Weiterhin hat das Gericht das individuelle Fehlverhalten der 15-jährigen Radfahrerin analysiert. Es wurde festgestellt, dass sie den Kreisverkehr entgegen der vorgeschriebenen Richtung befahren hatte, was zur Bewertung der Schwere des Verstoßes beigetragen hat. Es wurde deutlich gemacht, dass sie, auch als jugendliche Schülerin, nicht dadurch entlastet wird, dass möglicherweise andere Radfahrer dasselbe Fehlverhalten an der Unfallstelle zeigten. Dieses Fehlverhalten führte zur oben genannten Haftungsverteilung.
Verletzungen der Klägerin und Entschädigung
Zusätzlich zur Haftungsfrage befasste sich das Gericht auch mit den geltend gemachten Verletzungen der Klägerin. Es kam zu dem Schluss, dass die Klägerin infolge des Verkehrsunfalls tatsächlich Verletzungen erlitten hat, darunter diverse Prellungen und eine Fingerwunde. Diese wurden durch den Unfallablauf und die daraus resultierenden Schmerzen und Einschränkungen im Alltag und beim Schulbesuch überzeugend dargelegt.
Schlussbemerkungen und Berufungsmöglichkeit
Das Urteil stellt klar, dass in einem solchen Fall von einem ersatzfähigen Vermögensschaden ausgegangen werden kann, wenn der Eigentümer die Sache (hier das Fahrrad) in der Zeit ihres Ausfalls entsprechend genutzt hätte. Da die Rechtssache höchstrichterlich geklärt ist, wurden keine Gründe für eine Zulassung der Berufung gegen das Urteil gesehen.
Das vorliegende Urteil
AG Stade – Az.: 61 C 236/20 – Urteil vom 27.08.2020
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 187,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.04.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 117,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.03.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagten werden außerdem als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte F., S., in Höhe von 147,56 Euro freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils gegen vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
7. Die Berufung wird nicht zugelassen.
8. Der Streitwert wird festgesetzt auf bis zu 1.000,- Euro.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von den Beklagten weiteren Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Am 05.02.2020 befuhr die Klägerin, die zum damaligen Zeitpunkt 15 Jahre alt war, auf ihrem Fahrrad in S. die B.-Straße in Richtung stadteinwärts auf dem rechts neben der Fahrbahn befindlichen Fahrradweg. Der Beklagte zu 1.) befuhr mit dem zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten zu 2.) kfz-haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … den Kreisverkehr B.-Straße/Glückstädter Straße/Schiffertorsstraße/Hohenwedeler Weg. Dieser Kreisverkehr ist mit den Verkehrszeichen Nr. 205 (Vorfahrt gewähren) und 215 (Kreisverkehr) gekennzeichnet. Der Beklagte zu 1.) beabsichtigte, aus dem Kreisverkehr kommend in die B.-Straße einzubiegen. Die Klägerin wollte ihre Fahrt nach links über die B.-Straße in Richtung Hohenwedeler Weg fortsetzen. Sie querte hierfür entgegen der Richtung im Kreisverkehr die B.-Straße, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Klägerin den dort befindlichen Radweg oder den angrenzenden Fußweg („Zebrastreifen“) benutzte. Der querende Radweg ist in diesem Bereich nicht für Fahrradfahrer in beide Richtungen freigegeben. Als die Klägerin sich querend auf der Fahrbahn befand, bog der Beklagte zu 1.) mit seinem Pkw aus dem Kreisverkehr aus und berührte die Klägerin mit dem Pkw, wodurch diese stürzte.
Durch den Zusammenstoß wurde das Fahrrad der Klägerin beschädigt und war nicht mehr fahrtüchtig. Es entstand ein Schaden in Höhe von 350,- Euro am Fahrrad und in Höhe von 44,94 Euro an der Kleidung der Klägerin, den die Beklagte zu 2.) vorgerichtlich jeweils hälftig regulierte und weitere Zahlungen mit Schreiben vom 12.03.2020 ablehnte.
Die Klägerin forderte die Beklagte zu 2.) unter Fristsetzung bis zum 15.04.2020 durch ihren bereits vorgerichtlich bevollmächtigten Rechtsanwalt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 250,- Euro, zur Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 160,- Euro, zur Zahlung einer Unkostenpauschale in Höhe von 25,- Euro sowie Übernahme der vollständigen – der Höhe nach unstreitigen – Schäden an Fahrrad und Hose in Höhe von noch 197,47 Euro vergeblich auf.
Die Klägerin behauptet, sie sei über die rot unterlegte Furt für Fahrradfahrer über die Fahrbahn gefahren, nicht auf dem angrenzenden Fußgängerüberweg in Form eines Zebrastreifens. Sie ist der Auffassung, die Beklagten hafteten zu 100 % für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallereignisses. Es liege ein gravierender Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1.) vor. Dieser habe mit querenden Radfahrern aus beiden Richtungen rechnen müssen. Es habe sich kein sichtbehindernder größerer Lkw am Unfallort befunden. Wenn überhaupt, bestünde nur ein formaler und geringfügiger Verstoß der Klägerin, der nicht unfallursächlich geworden sei, weil der Unfall auch passiert wäre, wenn die Klägerin den Radweg in der Gegenrichtung befahren hätte. Die Klägerin sei vorfahrtsberechtigt gewesen. Sie sei schwer gestürzt und habe diverse Prellungen und eine Fingerwunde unfallbedingt erlitten. Zwei Tage habe sie nicht zur Schule gehen können und auch am Wochenende noch Schmerzen gehabt. Erst am Folgetag habe sie unter Schmerzen wieder die Schule besucht. Eine Kostenpauschale und Nutzungsausfallentschädigung seien auch bei Radfahrern geschuldet.
Die Klägerin beantragt zuletzt, die beiden Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1. an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem jew. Basiszinssatz seit dem 16.04.2020 zu zahlen,
2. an die Klägerin weitere € 382,47 nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf € 222,47 seit dem 12.03.2020 und auf weitere € 160,00 seit dem 16.04.2020 zu zahlen sowie
3. die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte F., S., von € 147,56 freizustellen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Klägerin sei über den Fußgängerüberweg gefahren, nicht über die Furt für Fahrradfahrer. Sie verweisen darauf, dass die Klägerin zudem den die Fahrbahn querenden Weg in der falschen Richtung befahren habe. Ein Personenschaden sei der Klägerin nicht entstanden, zumal der Vater der Klägerin dies in einem Telefonat am 05.02.2020 verneint habe. Die Klägerin habe keine unfallbedingten Verletzungen erlitten. Ihr habe auch kein Vorfahrtsrecht zugestanden, weswegen sie sich eine hälftige Mithaftung entgegenhalten lassen müsste. Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung bestehe bei Fahrrädern nicht, jedenfalls nicht in der geltend gemachten Höhe. Der Klägerin habe jedenfalls der Nutzungswille gefehlt. Auch eine Unkostenpauschale gebe es für Fahrradfahrer nicht.
Das Gericht hat am 30.07.2020 die Klägerin sowie den Beklagten zu 1.) informatorisch angehört und die Zeugin M. vernommen. Wegen des Ergebnisses wird verwiesen auf das entsprechende Sitzungsprotokoll (Bl. 47 ff. d. A.).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein restlicher Schadensersatzanspruch in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe zu. Die Klägerin muss sich indes eine Mithaftung in Höhe von 25 % entgegenhalten lassen. Zudem kann sie als fahrradfahrende Schülerin keine Nutzungsausfallentschädigung verlangen.
I.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß § 7 Abs. 1 StVG; § 823 Abs. 1 BGB, § 115 VVG als Gesamtschuldner dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zu. Es ist ein Unfall im Straßenverkehr geschehen, bei dem Schäden der Klägerin eingetreten sind. Die Klägerin muss sich allerdings ein anteiliges Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen.
1.
Der Beklagte zu 1.) hat bei dem Verlassen des Kreisverkehrs gegen das der Klägerin als auf einem dem Kreisverkehr zuzurechnenden Radweg querender Radfahrerin zustehende Vorfahrtsrecht verstoßen und darüber hinaus auch die aus § 1 Abs. 2 StVO folgende allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme nicht beachtet. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass für den Beklagten zu 1.) keine solche Sichtbeeinträchtigung bestand, dass er die Klägerin auf ihrem Fahrrad nicht hätte von links kommen sehen können. Diese Überzeugung beruht auf den Angaben der Zeugin M., die sich selbst noch weiter entfernt in der B.-Straße zurück befand und von dort freie Sicht auf das Geschehen gehabt hat. Insbesondere hat sie sowohl das Fahrrad als auch den Pkw des Beklagten zu 1.) klar beobachten können. Dies wäre nach dem Vortrag des Beklagten zu 1.) aber nicht möglich gewesen, wenn sich ein höheres Fahrzeug in Richtung stadteinwärts auf der B.-Straße genähert hätte. Denn gerade dann wäre die Sicht der Zeugin M. auf das Geschehen und die beteiligten Akteure versperrt gewesen. Dies hat die Zeugin M. indes glaubhaft verneint und es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin M. insoweit absichtlich oder unabsichtlich falsche Angaben getätigt hätte. Zudem sind die vagen Ausführungen des Beklagten zu 1.) zu dem Fahrzeug, das zunächst als Lkw, dann auch eventuell als höherer Transporter bezeichnet wurde, so allgemein und wenig aussagekräftig, dass sie der Überzeugung des Gerichts, die es sich aufgrund der Angaben der Zeugin M. gebildet hat, nicht entgegenstehen.
Damit hat der Beklagte zu 1.) einen erheblichen Verkehrsverstoß begangen, indem er aus dem Kreisverkehr herausgefahren ist, ohne die im Kreisverkehr fahrende Klägerin auf ihrem Fahrrad vor der Ausfahrt ausreichend zu berücksichtigen. Dies wäre ihm aber nach dem Vorgesagten ohne weiteres möglich gewesen, zumal zu berücksichtigen ist, dass der Beklagte zu 1.) jedenfalls mit Fußgängern auf dem sich unmittelbar anschließenden Fußgängerüberweg von links kommend hätte rechnen müssen, da diese unstreitig an der Unfallstelle in beide Richtungen den Fußgängerüberweg benutzen durften. Damit liegt es nahe, dass der Beklagte zu 1.), zumal der Kreisverkehr vielfältig insbesondere von Schülern mit Fahrrädern frequentiert und auch in „falscher“ Richtung befahren wird, ohne weiteres damit rechnen können und müssen, dass ein minderjähriges Kind auf einem Fahrrad den Kreisverkehr in die falsche Richtung befährt.
2.
Indes trägt auch die Klägerin ein über § 9 StVG i. V. m. § 254 Abs. 1 BGB anteilig zu berücksichtigendes Mitverschulden. Die Klägerin verfügte insoweit als Schülerin, die regelmäßig mit dem Rad unterwegs ist, über das erforderliche Einsichtsvermögen, § 828 Abs. 3 BGB. Dies gilt unabhängig davon, ob ihr oder ihren Eltern die maßgeblichen Verkehrsregeln im Einzelfall tatsächlich bekannt waren oder sich eine Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer ebenfalls regelwidrig verhalten mag.
a)
Nicht bewiesen hat die Beklagtenseite der Klägerin aber, dass sie vollständig auf dem Fußgängerüberweg die Fahrbahn überquert und damit ihr Vorfahrtsrecht komplett verloren hätte. Eine entsprechende Überzeugung vermochte sich das Gericht aufgrund der Angaben der Zeugin M. nicht zu bilden. Zwar hat diese in ihrer schriftlichen Aussage gegenüber der Beklagten zu 2.) im Rahmen der Unfallregulierung zunächst insoweit missverständliche Angaben gemacht. Diese vermochte die Zeugin M. durch ihre überzeugende Aussage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bei Gericht jedoch dahingehend auszuräumen, dass sie nicht sicher sagen könne, ob die Klägerin nun den Fußgänger- oder den Fahrradüberweg benutzt habe. Vielmehr war die Zeugin M. eher der Meinung, dass es aufgrund der Entfernung von ihrem Standort eher der Fahrradweg gewesen sei. Den Beweis, dass die Klägerin verbotenerweise den Fußgängerüberweg auf dem stadtauswärtigen Fahrstreifen benutzt hätte, vermögen die Beklagten mit dieser Aussage nicht zu führen. Auch der Beklagte zu 1.) war sich in seiner informatorischen Anhörung durchaus unsicher, ob die Kollision nun auf dem Fußgängerüberweg oder auf dem Fahrradüberweg stattgefunden hatte, da er verständlicherweise durch das Unfallgeschehen selbst seinerzeit in Aufregung versetzt war.
b)
Die Klägerin hätte aber den Fahrradweg nicht in der angegebenen Richtung befahren dürfen. Sie hat damit gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen bzw. gegen das Gebot, im Kreisverkehr entgegen dem Uhrzeigersinn die Fahrbahn zu benutzen. Der Radweg ist baulich eindeutig dem Kreisverkehr zuzuordnen. Er orientiert sich an der Fahrbahn für die Kraftfahrzeuge, auch wenn er durch dazwischenliegende Verkehrsinseln etwas abgegrenzt ist. Baulich ist er in seiner räumlichen Gestaltung dem Kreisverkehr selbst so zugeordnet, dass auf diesem Fahrradweg grundsätzlich dieselbe Fahrtrichtung gilt, wie dies im Kreisverkehr selbst für die Kraftfahrzeuge der Fall ist. Insbesondere ist der fragliche Radweg an der Unfallstelle auch nicht durch Zusatzschild oder bauliche Gestaltung für Fahrräder in beide Richtungen freigegeben. Weder eine dafür erforderliche Widmung durch die Straßenverkehrsbehörde noch die erforderliche Kenntlichmachung vor Ort – sei es durch ein Zusatzschild für die Autofahrer, sei es durch entsprechende Markierungen mit Pfeilen auf der Fahrbahn – ist vorliegend vorhanden.
3.
Kommt es damit zur Abwägung einerseits des der Klägerin zur Last fallenden Mitverschuldens und andererseits des Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1.) sowie der von dessen Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr, hält das Gericht insgesamt eine Haftungsquote von 25 % zu 75 % zu Lasten der Beklagtenseite für angemessen.
Es entspricht den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen, dass bei Benutzung des linken Radweges entgegen der vorgeschriebenen Richtung durch einen Radfahrer grundsätzlich eine Abwägung vorzunehmen ist, wobei alle Umstände des Einzelfalles Berücksichtigung zu finden haben. Dabei geht es namentlich um den Straßenverlauf, die Geschwindigkeit, die Erkennbarkeit der Fahrzeuge, die Witterungsverhältnisse und die Erkennbarkeit der unfallträchtigen Situation. Für den Beklagten zu 1.) war die unfallträchtige Situation – wie ausgeführt – ohne weiteres erkennbar. Es gab keine Sichtbehinderungen. Er hätte auch mit Fußgängern aus der entgegengesetzten Richtung und zudem mit Schülerverkehr an dem Kreisverkehr rechnen müssen. Insofern wiegt sein Vorfahrtsverstoß schwer. Auf der anderen Seite ist auch der Verkehrsverstoß der Klägerin nicht als so gering anzusehen, dass dieser vollständig bei der Haftungsfrage zurücktreten könnte. Die Klägerin ist nämlich, ohne anzuhalten, unmittelbar in die verkehrte Richtung auf die querende Fahrbahn eingeschwenkt und hat dabei nach ihren eigenen Angaben in der informatorischen Anhörung zunächst verbotenerweise den Fußgängerüberweg benutzt, was sie insoweit des Vorfahrtsrechtes jedenfalls zunächst gegenüber den stadteinwärts fahrenden Kraftfahrzeugen beraubt hatte. Anschließend, als sie sich dann auf der stadtauswärtigen Fahrbahn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr auf dem Fußgängerüberweg befand, hat sie das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) kommen sehen, sich aber dennoch nicht zum Anhalten entschlossen, da sie fälschlicherweise davon ausging, dass sie erlaubterweise in der von ihr gewählten Richtung über den Fahrradweg fuhr. Es wäre auch ihr also ohne weiteres möglich gewesen, durch eigenes Abbremsen die Unfallsituation zu verhindern. Sie wird auch als 15-jährige Schülerin nicht dadurch entlastet, dass möglicherweise andere Fahrradfahrer dasselbe Fehlverhalten an der fraglichen Unfallstelle an den Tag legen. Dies hatte das Gericht bereits bei der Bewertung der Schwere des Verstoßes der Beklagtenseite zugunsten der Klägerin berücksichtigt.
Die Ausführungen der Klägerseite zum rechtmäßigen Alternativverhalten kann das Gericht nicht nachvollziehen. Wenn die Klägerin sich der Straßenverkehrsordnung entsprechend verhalten hätte, hätte sie den Kreisverkehr in der anderen Richtung befahren müssen und die B.-Straße gar nicht überqueren müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Dann wäre es auch nicht an dieser Stelle zu dem Unfall mit dem Fahrzeug der Beklagtenseite gekommen. Ob es irgendwo anders einen Unfall gegeben hätte, ist rechtlich nicht relevant und zudem reine Spekulation.
Stehen sich damit einerseits das nicht ganz geringfügige Verschulden der Klägerin, andererseits der erhebliche Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1.) und die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr gegenüber, so ist insgesamt die obengenannte Haftungsquote zur Regulierung des Verkehrsunfallgeschehens angemessen.
II.
Während noch teilweise Ansprüche auf Schmerzensgeld, Unkostenpauschale, Fahrrad- und Hosenschaden sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten bestehen, kommt eine Nutzungsausfallentschädigung nicht zum Tragen.
1.
Der Klägerin steht gemäß §§ 249 Abs. 2 Satz 1, 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld zu, das das Gericht unter Berücksichtigung eines eigenen Verschuldensanteils mit 187,50 Euro bemisst. Das Gericht ist nach der informatorischen Anhörung der Klägerin sowie nach den vorgelegten ärztlichen Behandlungsunterlagen und ergänzend den Angaben der Zeugin M. davon überzeugt, dass die Klägerin infolge des Verkehrsunfalls Verletzungen erlitten hat, die aus diversen Prellungen und einer Fingerwunde bestanden. Diese sind schlüssig dargelegt und mit dem von den Parteien weitgehend übereinstimmend geschilderten Ablauf des Verkehrsunfalls ohne weiteres vereinbar. Wenn ein Fahrradfahrer auf die Straße stürzt, sind solche Verletzungen naheliegend. Die Klägerin vermochte auch überzeugend darzustellen, inwieweit ihr das wie lange Schmerzen bereitet hat und sie beim Schulbesuch und im Alltag eingeschränkt hat. Unter Berücksichtigung eines mit 25 % anzusetzenden Mitverschuldens hat das Gericht insoweit insgesamt ein Schmerzensgeld von 187,50 Euro für angemessen erachtet.
2.
Im Hinblick auf den Fahrradschaden ist dieser der Höhe nach gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich mit 75 % von 350,- Euro, also 262,50 Euro zu ersetzen. Hierauf hat die Beklagte zu 2.) 175,- Euro gezahlt, was insoweit gemäß § 362 Abs. 1 BGB zum Teilerlöschen der Forderung führt. Es verbleiben 87,50 Euro.
3.
Im Hinblick auf den Kleidungsschaden (44,94 Euro) ist dieser unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 25 % mit 33,71 Euro ersatzfähig, worauf die Beklagte zu 2.) gemäß § 362 Abs. 1 BGB bereits 22,47 Euro gezahlt hat, so dass noch 11,24 Euro verbleiben.
4.
Unkostenpauschalen können auch von Fahrradfahrern geltend gemacht werden. Es handelt sich hier um eine Besonderheit des Verkehrsunfallrechts, mit der die Mühen des Geschädigten, die er mit der Abwicklung eines Verkehrsunfalls hat, entschädigt werden sollen. Sie unterliegt richterlicher Schätzung und wird im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle gemäß § 287 Abs. 1 ZPO regelmäßig mit 25,- Euro angenommen. Dies ist auch vorliegend angemessen. Die Beklagte zu 2.) hat durch ihr Regulierungsverhalten eindrücklich illustriert, warum eine Unkostenpauschale auch bei Fahrradunfällen notwendig ist. Die Klägerin, vertreten durch ihre sorgeberechtigten Eltern, musste Korrespondenz mit der Beklagten zu 2.) erledigen, musste sich insbesondere auch um Kostenvoranschläge und Ersatzbeschaffung bemühen. Zudem hat es Telefonate mit den weiteren Beteiligten gegeben. Eine Unkostenpauschale ist vor diesem Hintergrund jedenfalls angemessen. Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 25 % ist insoweit ein Betrag von 18,75 Euro geschuldet.
5.
Nutzungsausfallentschädigung kann die Klägerin dagegen nicht verlangen. Grundsätzlich ist die Entschädigung für Nutzungsausfall restriktiv zu handhaben. Es muss sich um ein für die Lebenshaltung zentrales Gut handeln. Der zeitweilige Verlust der Möglichkeit, Sachen zu nutzen, auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des Eigentums in besonderem Maße angewiesen ist, stellt einen ersatzfähigen Vermögensschaden dar, wenn der Eigentümer die Sache in der Zeit ihres Ausfalls entsprechend genutzt hätte. Auch andere Fortbewegungsmittel als ein privat eigenwirtschaftlich genutzter Pkw, für den die Nutzungsausfallentschädigung allgemein anerkannt ist, können eine solche auslösen. Voraussetzung ist, dass ein Geschädigter zur eigenwirtschaftlichen Lebenshaltung auf sie besonders angewiesen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Fahrrad durch einen Geschädigten für den Weg zur Arbeit genutzt wird (LG Lübeck, Urt. v. 08.07.2011, Az. 1 S 16/11, veröffentlicht z. B. in SVR 2012, 142). Anders verhält es sich indes bei einem Schüler, denn hier kommt dem Fahrrad kein messbarer frustrierter Vermögenswert zu (LG Hamburg, Urt. v. 24.04.1992, Az. 306 O 344/91, veröffentlicht z. B. in NZV 1993, 33). Ein Schadensersatzanspruch für einen Nichtvermögensschaden steht der Klägerin mangels Regelung in § 253 BGB insoweit nicht zu.
6.
Der Anspruch auf Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Der Gegenstandswert für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten liegt bei bis zu 1.000,- Euro.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kostenaufhebung ist angemessen, weil die Parteien jeweils zu nahezu gleichen Teilen unterliegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen, liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Die entscheidenden Parameter sind höchstrichterlich geklärt. Dass die Klägerin zu einem anderen Ergebnis bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge und des Mitverschuldens kommen möchte, bleibt ihr unbenommen, erfüllt aber keinen der abschließend genannten Zulassungsgründe.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.