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Unfall-Regress ausgeschlossen bei vorsätzlicher Gefährdung: Wer haftet?

Nach einem schweren Auffahrunfall forderte die Versicherung von einem Motorradfahrer Regress, obwohl die Hauptursache eine vorsätzliche Gefährdung war. Obwohl beim Auffahrunfall der Anscheinsbeweis für den Sicherheitsabstand sprach, trat die Fahrlässigkeit komplett hinter den Vorsatz zurück.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 27 O 112/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Stuttgart
  • Datum: 29.01.2025
  • Aktenzeichen: 27 O 112/24
  • Verfahren: Regressklage
  • Rechtsbereiche: Verkehrsunfall, Haftungsabwägung, Pflichtversicherung

  • Das Problem: Eine Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte den Schaden eines Motorradunfalls. Sie forderte 25 Prozent des Geldes vom auffahrenden Motorradfahrer zurück (Regress).
  • Die Rechtsfrage: Muss der Motorradfahrer für das Auffahren mithaften, weil er zu wenig Abstand hielt? Oder war das vorsätzliche Verhalten des überholenden Autofahrers so schwerwiegend, dass nur dieser allein haften muss?
  • Die Antwort: Die Klage wurde abgewiesen. Obwohl das Gericht einen Abstandsfehler des Motorradfahrers bejahte, haftet er nicht. Sein fahrlässiges Verschulden tritt vollständig hinter dem besonders schweren, vorsätzlichen Verhalten des Überholers zurück.
  • Die Bedeutung: Bei einer Haftungsabwägung kann ein besonders schweres oder vorsätzliches Verschulden das fahrlässige Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer vollständig ausschließen. Dies kann den Regressanspruch von Versicherungen verhindern.

Der Fall vor Gericht


Warum klagte eine Versicherung gegen das Opfer ihres eigenen Kunden?

Eine Versicherung zahlte über 12.000 Euro für einen Unfall, den ihr eigener Kunde durch ein rücksichtsloses Überholmanöver verursacht hatte. Kurz darauf klagte sie – aber nicht gegen den Unfallverursacher. Sie wollte Geld von einem der Opfer, einem Motorradfahrer, der in der Schrecksekunde seinem Vordermann auffuhr. Es ging um eine heikle Frage: Macht ein kleiner Fehler einen zum Mitschuldigen, wenn der Hauptverursacher bewusst eine Katastrophe riskierte? Das Landgericht Stuttgart musste diese Rechnung prüfen.

Die vorsätzliche Gefährdung der Motorradfahrer tritt hinter den Abstandsfehler des Lastwagens zurück bei der Haftungsabwägung.
Landgericht Stuttgart wies Regressforderung der Versicherung gegen auffahrenden Motorradfahrer zurück; Überholer haftet allein. | Symbolbild: KI

Der Fall spielte auf einer Landstraße bei Murrhardt. Ein Kia-Fahrer, versichert bei der Klägerin, scherte aus einer Kolonne aus, um einen LKW zu überholen. Er sah zwei entgegenkommende Motorräder. Er zog das Manöver trotzdem durch. Die Biker machten eine Vollbremsung. Der hintere Fahrer krachte auf das Motorrad des vorderen. Der vordere Biker stürzte. Der Kia-Fahrer wurde später wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Seine Versicherung regulierte den Schaden des gestürzten Bikers. Dann verlangte sie 25 Prozent der Summe – rund 3.200 Euro – vom zweiten Motorradfahrer zurück. Ihr Argument: Er habe zu wenig Abstand gehalten.

Griff der Anscheinsbeweis gegen den auffahrenden Motorradfahrer?

Die Versicherung stützte ihre Forderung auf eine juristische Standardfigur: den Beweis des ersten Anscheins. Fährt jemand auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auf, spricht die Lebenserfahrung dafür, dass er entweder unaufmerksam war oder den Sicherheitsabstand nicht einhielt. Der Auffahrende muss beweisen, dass die Situation untypisch war und ihn keine Schuld trifft. Der Motorradfahrer verteidigte sich. Er sei nicht direkt hinter, sondern seitlich versetzt zum vorderen Motorrad gefahren. Erst die Notbremsung und das Ausweichmanöver vor dem entgegenkommenden Kia hätten ihn gezwungen, sich direkt hinter dem Vordermann einzuordnen. Das sei ein atypischer Verlauf, der den Anscheinsbeweis erschüttere.

Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Es prüfte die Beweise – Zeugenaussagen, eine Dashcam-Aufnahme aus einem LKW und ein Sachverständigengutachten. Kein Beweismittel konnte den seitlichen Versatz im entscheidenden Moment sicher belegen. Die Richter gingen noch einen Schritt weiter. Sie stellten klar: Selbst wenn die Motorräder zuvor versetzt gefahren wären, würde das nichts ändern. Die Pflicht zum Sicherheitsabstand nach § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verlangt, dass man hinter dem Vordermann zum Stehen kommen kann. Darauf zu vertrauen, im Notfall neben ihm anhalten zu können, genügt nicht. Der Sinn des Abstandsgebots ist es, auch auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren zu können. Eine Vollbremsung des Vordermanns ist kein atypisches Ereignis. Der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des zweiten Motorradfahrers – ein Abstands- oder Reaktionsfehler – blieb bestehen.

Warum scheiterte der Regress der Versicherung trotzdem?

Der zweite Motorradfahrer hatte also einen Fehler gemacht. Die Versicherung verlor ihre Klage trotzdem. Das Gericht wies sie vollständig ab. Der Grund lag in der Abwägung der Verursachungsbeiträge, die das Gesetz in § 17 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vorschreibt. Im Klartext: Das Gericht wog die Schuld der beiden Beteiligten gegeneinander ab. Auf der einen Seite stand der Fehler des Motorradfahrers. Ein fahrlässiger Verstoß gegen die Abstandspflicht.

Auf der anderen Seite stand das Manöver des Kia-Fahrers. Das Gericht stufte sein Verhalten als massiv schwerwiegender ein. Er hatte die Motorräder kommen sehen. Er hatte trotzdem überholt. Als er merkte, dass der Platz nicht reichen würde, brach er das Manöver nicht ab. Er beschleunigte sogar noch, um sich in die Lücke zu zwängen. Dieses Verhalten wertete das Gericht nicht als bloße Fahrlässigkeit. Es sah darin eine bewusste Inkaufnahme schwerster Folgen – ein Verhalten, das an Vorsatz grenzt. Der rechtskräftige Strafbefehl wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs untermauerte diese Einschätzung. Im Vergleich zu dieser rücksichtslosen Tat, die den Unfall erst erzwungen hatte, trat der schlichte Abstandsfehler des Motorradfahrers komplett in den Hintergrund. Die Richter entschieden: Das Verschulden des Kia-Fahrers wiegt so schwer, dass es die Mitschuld des Motorradfahrers vollständig verdrängt. Die Versicherung des Hauptverursachers muss den Schaden alleine tragen. Ein Regressanspruch gegen den zweiten Fahrer besteht nicht.

Die Urteilslogik

Gerichte verhindern den Regress der Haftpflichtversicherung, wenn der Eigenschaden des Kunden durch dessen vorsätzliche Gefährdung verursacht wurde und die Mithaftung des Opfers dahinter zurücktritt.

  • Schwerstes Verschulden schließt Mithaftung aus: Verursacht ein Beteiligter den Unfall durch eine rücksichtslose Tat, die an Vorsatz grenzt, absorbiert dieses extrem schwere Verschulden die einfache Fahrlässigkeit anderer Unfallbeteiligter vollständig aus der Haftungsabwägung.
  • Sicherheitsabstand erfordert jederzeitiges Anhalten: Die gesetzliche Pflicht zum Sicherheitsabstand verlangt von jedem Fahrer, dass er jederzeit fähig ist, hinter seinem Vordermann zum Stillstand zu kommen; eine versetzte Fahrweise entbindet nicht von der Einhaltung dieser Kernpflicht, selbst wenn eine Notbremsung erzwungen wird.
  • Anscheinsbeweis beim Auffahren bleibt bestehen: Eine durch einen Dritten erzwungene Notbremsung gilt nicht als atypisches Geschehen, das den Beweis des ersten Anscheins für einen Abstands- oder Reaktionsfehler beim Auffahrenden erschüttert.

Das Gesetz etabliert einen klaren Maßstab: Wer die Gefahr willentlich herbeiführt, trägt die alleinige Verantwortung für die daraus resultierenden Konsequenzen.


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Fordert Ihre Versicherung Regress trotz besonders schweren Verschuldens des Unfallgegners? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche rechtliche Ersteinschätzung Ihres Sachverhalts.


Experten Kommentar

Viele Unfallbeteiligte fragen sich, ob ihr kleiner Fehler im Nachgang noch teuer wird, selbst wenn ein anderer die Katastrophe bewusst ausgelöst hat. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Ein massives, rücksichtsloses Verhalten, das an Vorsatz grenzt, schlägt einen bloßen fahrlässigen Abstandsfehler in der Haftungsabwägung vollständig. Obwohl der Auffahrende technisch gegen die Abstandspflicht verstieß, schließt die vorsätzliche Gefährdung des Hauptverursachers den Regressanspruch der Versicherung komplett aus. Praktisch bedeutet dies, dass bei einer besonders schweren Verursachung das Gericht die Mithaftung der Opfer konsequent auf null setzen kann.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Muss ich bei einem Unfall mithaften, wenn mein Abstandsfehler durch grobe Fahrlässigkeit des Gegners erzwungen wurde?

Nein, Ihre Mithaftung kann trotz des vorhandenen Fehlers komplett entfallen. Selbst wenn der sogenannte Anscheinsbeweis einen Verstoß gegen die Abstandspflicht feststellt, spielt die Schwere des gegnerischen Verschuldens eine überragende Rolle. Das massiv schwerwiegende oder gar vorsatznahe Verhalten des Hauptverursachers kann Ihren leichten Fehler vollständig in den Hintergrund drängen. Diesen juristischen Mechanismus bezeichnet man als Verdrängungslehre.

Juristisch gesehen bleibt Ihr fahrlässiger Abstandsfehler meist bestehen, selbst wenn Sie durch ein notwendiges Ausweichmanöver in die kritische Situation gezwungen wurden. Dennoch erfolgt nach § 17 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) eine gewissenhafte Haftungsabwägung des gegenseitigen Verschuldens. Hierbei beurteilen Gerichte nicht nur die Art der Fahrlässigkeit. Entscheidend ist die juristische Einstufung, ob das gegnerische Verhalten an Vorsatz grenzte und bewusst schwerste Folgen in Kauf nahm.

Ein Beispiel: Ein Gericht stuft das Manöver des Unfallgegners als bewusste Inkaufnahme schwerster Folgen ein. Dieses extrem schwere Verschulden wiegt in der zivilrechtlichen Abwägung so stark, dass es Ihre einfache, sekundäre Fahrlässigkeit (den Abstandsfehler) vollständig überlagert. Die Richter entscheiden dann, dass Ihr eigener, leichter Verursachungsbeitrag komplett in den Hintergrund tritt. Die Versicherung des Hauptverursachers muss folglich den gesamten Schaden alleine tragen, ein Regressanspruch scheitert.

Fordern Sie umgehend alle Dokumente des gegnerischen Fahrers an, insbesondere den Strafbefehl, um dessen vorsätzliche Gefährdung als Beweis in Ihrem Zivilverfahren nutzen zu können.


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Wie widerlege ich den Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall, wenn ich ausweichen musste?

Es ist verständlich, dass Sie frustriert sind, wenn Ihr notwendiges Notmanöver ignoriert wird. Der Anscheinsbeweis greift selbst bei erzwungenen Ausweichmanövern, da eine Notbremsung als typisches, vorhersehbares Verkehrsereignis gilt. Gerichte sehen eine solche Notsituation in der Regel nicht als ausreichenden Grund an, um die grundsätzliche Abstandspflicht aufzuheben. Die Widerlegung gelingt nur in extrem seltenen Ausnahmefällen.

Der Gesetzgeber formuliert die Pflicht zum Sicherheitsabstand (§ 4 Abs. 1 StVO) sehr streng. Verkehrsteilnehmer müssen stets in der Lage sein, ihr Fahrzeug rechtzeitig hinter dem Vordermann zum Stehen zu bringen. Gerichte argumentieren schlüssig, dass die Notwendigkeit einer plötzlichen Vollbremsung keine untypische Verkehrssituation darstellt, sondern gerade zu den Risiken gehört, die ein Fahrer einkalkulieren muss. Die Regel bleibt bestehen: Wer auffährt, hat den erforderlichen Abstand nicht eingehalten oder zu langsam reagiert.

Argumentationen, man sei seitlich versetzt gefahren und habe erst durch das Manöver direkt auffahren müssen, sind meist nicht ausreichend. Die Pflicht zum Abstand verlangt die Fähigkeit, vollständig zum Stillstand zu kommen. Eine erfolgreiche Erschütterung des Anscheinsbeweises gelingt Ihnen nur, wenn Sie beweisen können, dass die Unfallursache völlig unbeherrschbar war und in keinem Zusammenhang mit Ihrem Abstands- oder Reaktionsverhalten stand.

Sichern Sie im Falle eines Unfalls sofort Dashcam-Aufnahmen oder Zeugenaussagen, die präzise die Einhaltung des Sicherheitsabstands vor der Schrecksekunde belegen.


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Wann ist der Regressanspruch der gegnerischen Versicherung ausgeschlossen, obwohl ich einen Fehler gemacht habe?

Selbst wenn Sie formal einen Fehler begangen haben, können Sie einen Regressanspruch der gegnerischen Versicherung vollständig abwehren. Dies gelingt, wenn das Gericht das Verschulden des Hauptverursachers als so überragend schwer bewertet, dass es Ihr eigenes, leichtes Fehlverhalten vollständig unwichtig macht. Entscheidend ist die juristische Gewichtung der Verursachungsbeiträge, die das Gesetz klar vorschreibt.

Der Ausschluss basiert auf der gewichteten Haftungsabwägung nach § 17 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Dieses Gesetz verlangt, die Verursachungsbeiträge aller Unfallbeteiligten gewissenhaft gegeneinander aufzuwiegen. Damit Ihr eigener Fehler vollständig in den Hintergrund tritt, genügt grobe Fahrlässigkeit des Gegners oft nicht. Das Gericht muss das Verhalten vielmehr als eine bewusste Inkaufnahme schwerster Folgen einstufen, die an Vorsatz grenzt.

Nehmen wir den Fall eines rücksichtslosen Überholers, der Motorradfahrer zu einer Vollbremsung zwang. Obwohl der auffahrende Biker einen Abstandsfehler machte, verlor die Versicherung des Überholers ihre Regressklage. Das Gericht sah die bewusste Gefährdung durch den Hauptverursacher als massiv schwerwiegend an. Dieses extreme Verschulden führte zur vollständigen Verdrängung der geringen Mitschuld des Bikers, sodass die Versicherung 100 Prozent des Schadens trug.

Weisen Sie Ihren Anwalt an, die Klage der Gegenseite sofort mit einem detaillierten Schriftsatz zu beantworten, der die vorsätzliche Gefährdung durch den Versicherungsnehmer explizit herausstellt.


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Was tun, wenn mein leichter Abstandsfehler gegen das vorsätzliche Verhalten des Unfallverursachers abgewogen wird?

Wenn Ihr leichter Abstandsfehler auf das vorsatznahe Verhalten eines Unfallverursachers trifft, verschieben Sie den juristischen Fokus. Akzeptieren Sie den eigenen Fehler als einfache Fahrlässigkeit, da die juristische Abgrenzung dann einfacher gelingt. Ihre Hauptstrategie muss darin bestehen, die Vorsatznähe des Gegners maximal zu beweisen. Konzentrieren Sie sich darauf, die bewusste Inkaufnahme der Gefahr durch den Hauptverursacher anhand konkreter Handlungen zu untermauern.

Die Regel zur Haftungsabwägung findet sich in § 17 StVG. Obwohl Ihr Verstoß gegen die Abstandspflicht formal bestehen bleibt, müssen Gerichte die jeweiligen Verursachungsbeiträge gewichten. Entscheidend ist, dass das Verhalten des Gegners nicht nur als grob fahrlässig, sondern als bewusste Inkaufnahme schwerster Folgen eingestuft wird. Nur dieses extrem schwere Verschulden hat die juristische Kraft, Ihren eigenen, sekundären Fehler in der Abwägung vollständig zu verdrängen.

Beweisen Sie diese bewusste Gefährdung durch konkrete Handlungen und nicht durch allgemeine Behauptungen. Nehmen wir an: Der Unfallverursacher zog ein riskantes Manöver durch, sah die entgegenkommenden Fahrzeuge und beschleunigte trotzdem noch, um sich in die Lücke zu zwängen. Sichern Sie Zeugenaussagen, die genau dieses vorangegangene riskante Fahrverhalten bestätigen. Diese Aussagen untermauern die vorsatznahe Handlung des Gegners, welche die überwiegende Verursachungswirkung trägt und Ihre Mitschuld vollständig zu verdrängen vermag.

Sichern Sie umgehend alle Beweise, insbesondere detaillierte Zeugenaussagen, um die Schwelle zur bewussten Gefährdung des Hauptverursachers zweifelsfrei zu belegen.


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Wie beeinflusst ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Gefährdung die zivilrechtliche Haftungsabwägung?

Ein Strafbefehl ist das schärfste juristische Schwert in einem zivilrechtlichen Haftungsprozess. Dieses Dokument liefert eine offizielle Bewertung des Gerichts, die das Verhalten des Unfallgegners als extrem schwerwiegend qualifiziert. Es dient als starkes Indiz dafür, dass das Verschulden nicht nur grob fahrlässig, sondern im Bereich der Vorsatznähe anzusiedeln ist.

Die Regel: In der zivilrechtlichen Haftungsabwägung nach § 17 StVG sind die Verursachungsbeiträge aller Beteiligten genau zu gewichten. Wenn die Gegenseite versucht, Ihre geringfügige Mitschuld, etwa einen Abstandsfehler, geltend zu machen, brauchen Sie einen überragenden Gegenbeweis. Der rechtskräftige Strafbefehl untermauert die Behauptung, der Hauptverursacher habe den Schaden durch bewusste Inkaufnahme schwerster Folgen herbeigeführt. Das zivilgerichtliche Urteil stützt sich maßgeblich auf diese strafrechtliche Vorbewertung.

Konkret: Liegt ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs vor, bietet dies die juristische Grundlage für die vollständige Verdrängung Ihrer eigenen, leichten Fahrlässigkeit. Gerichte erkennen an, dass ein vorsatznahes Verhalten die geringere Schuld des Unfallgegners komplett in den Hintergrund treten lässt. Im Fall des rücksichtslosen Überholens eines Kia-Fahrers nutzte das Landgericht Stuttgart den Strafbefehl exakt dafür, um den Regressanspruch der gegnerischen Versicherung abzuweisen.

Wenn das Strafverfahren abgeschlossen ist, fordern Sie umgehend eine beglaubigte Kopie des Strafbefehls an und legen Sie ihn Ihrem Anwalt als zentrales Beweismittel vor.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Anscheinsbeweis

Der Anscheinsbeweis ist eine zentrale juristische Figur, die bei typischen Unfallabläufen die Lebenserfahrung nutzt, um ein Verschulden anzunehmen, solange der Betroffene nicht beweist, dass der Ablauf untypisch war. Dieses Beweismittel erleichtert es dem Kläger, Fahrlässigkeit nachzuweisen, insbesondere bei Sachverhalten, die erfahrungsgemäß fast immer auf denselben Fehlern beruhen, wie etwa ein Auffahrunfall.
Beispiel: Der Anscheinsbeweis griff im vorliegenden Fall gegen den auffahrenden Motorradfahrer, weil dieser nicht belegen konnte, den notwendigen Sicherheitsabstand zum Vordermann vor der Vollbremsung eingehalten zu haben.

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Haftungsabwägung

Gerichte wenden die Haftungsabwägung als juristisches Verfahren nach § 17 StVG an, um die Verursachungsbeiträge und das individuelle Verschulden aller am Unfall beteiligten Parteien gewissenhaft gegeneinander aufzuwiegen. Der Gesetzgeber schreibt diese Gewichtung vor, um sicherzustellen, dass die Schadensverteilung gerecht erfolgt und jeder nur für seinen tatsächlichen Beitrag zur Katastrophe einsteht.
Beispiel: Das Landgericht Stuttgart führte eine Haftungsabwägung durch, bei der das Gericht den leichten Abstandsfehler des Bikers dem massiv schwerwiegenden, vorsatznahen Manöver des Kia-Fahrers gegenüberstellte.

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Regressanspruch

Ein Regressanspruch bezeichnet das gesetzliche Recht einer Partei – häufig die leistungspflichtige Versicherung –, bereits geleistete Schadenszahlungen von einem Dritten zurückzufordern, sofern dieser (mit-)verantwortlich für den Schaden war. Die Geltendmachung dient dazu, die Kostenlast auf diejenigen umzulegen, die laut gesetzlicher Haftungsvorschriften den Schaden mitverursacht haben, um die Versicherung schadlos zu stellen.
Beispiel: Die Versicherung des Hauptverursachers stellte einen Regressanspruch gegen den zweiten Motorradfahrer, da sie ihm vorwarf, durch einen Abstandsfehler einen Teil des Schadens mitverursacht zu haben.

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Verdrängungslehre

Juristen nutzen die Verdrängungslehre, um in der Haftungsabwägung festzustellen, dass das extrem schwere, an Vorsatz grenzende Verschulden einer Partei das leichte Verschulden der anderen Partei vollständig in den Hintergrund drängen kann. Dieses Prinzip verhindert eine Mithaftung für Personen, die nur einen minimalen, sekundären Fehler begangen haben, wenn der Unfall primär durch das massiv verantwortungslose Verhalten eines Dritten erzwungen wurde.
Beispiel: Im Urteil fand die Verdrängungslehre Anwendung, da das vorsatznahe Überholmanöver des Kia-Fahrers das geringfügige Abstandsversäumnis des Motorradfahrers komplett überlagerte und dessen Mithaftung ausschloss.

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Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs

Diese juristische Qualifikation beschreibt eine Straftat nach § 315c StGB, die vorliegt, wenn jemand im Straßenverkehr rücksichtslos handelt und dabei bewusst Leib oder Leben anderer oder bedeutende Sachwerte gefährdet. Das Strafgesetzbuch schützt damit die Verkehrssicherheit und sanktioniert Manöver, bei denen der Täter die drohende Katastrophe zumindest billigend in Kauf nimmt, statt das Manöver abzubrechen.
Beispiel: Der Kia-Fahrer wurde strafrechtlich wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt, weil er angesichts des Gegenverkehrs das riskante Überholmanöver durchzog und sogar noch beschleunigte.

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Das vorliegende Urteil


LG Stuttgart – Az.: 27 O 112/24 – Urteil vom 29.01.2025


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