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Prüfungsentscheidung – Amtshaftungsanspruch bei Falschbewertung

LG Erfurt, Az.: 8 O 791/11, Urteil vom 20.02.2012

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für den Beklagten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, es sei denn, der Beklagte leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG.

Der Kläger war im Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 18.02.2010 Regierungsinspektoranwärter des Beklagten. Im Juli 2009 legte er die schriftliche Laufbahnprüfung für den gehobenen nicht technischen Dienst in der staatlichen und kommunalen Verwaltung ab. Die schriftliche Prüfung bestand aus sechs Aufsichtsarbeiten, von denen mindestens 4 mit der Note „Ausreichend“ zu bestehen waren.

Prüfungsentscheidung - Amtshaftungsanspruch bei Falschbewertung
Symbolfoto: Soheil/Bigstock

Mit Bescheid vom 28.08.2009 teilte das Thüringer Innenministerium dem Kläger mit, dass er die schriftliche Laufbahnprüfung insgesamt nicht bestanden habe, da drei der Aufsichtsarbeiten lediglich mit der Note „Mangelhaft“ bewertet worden seien und somit als nicht bestanden galten. Der Kläger konnte folglich nicht zu der noch ausstehenden mündlichen Prüfung zugelassen werden.

Gegen den Bescheid des Thüringer Innenministeriums legte der Kläger form- und fristgerecht Widerspruch ein. Der Kläger richtete seinen Widerspruch gegen die Bewertung der drei Arbeiten, die als „mangelhaft“ angesehen worden waren.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens leitete das Prüfungsamt des Thüringer Innenministeriums ein Überdenkungsverfahren ein, in dem die jeweiligen Prüfer die Gelegenheit bekamen, sich noch einmal mit der Bewertung der Leistung des Klägers auseinander zu setzen. Das Überdenkungsverfahren führte dazu, dass der Zweitkorrektor der Aufsichtsarbeit im Fach „Betriebswirtschaftslehre“ die ursprüngliche Bewertung von 4 auf 6 Rangpunkte anhob. Der Erstkorrektor änderte dem gegenüber seine gleichlautende Bewertung nicht und blieb bei 4 Rangpunkten. Damit ergab sich eine Gesamtbewertung der Klausur „Betriebswirtschaftslehre“ mit 5 (statt 4) Rangpunkten.

Weitere Folge war, dass dem Widerspruchsbescheid des Klägers vom 11.01.2010 durch den Leiter des Prüfungsamts zum Teil abgeholfen und nunmehr festgestellt wurde, dass der Kläger die schriftliche Laufbahnprüfung bestanden habe. Zusätzlich erfolgte die Zulassung zur mündlichen Prüfung. Diese legte der Kläger am 18.02.2010 erfolgreich ab. Mit dem Bestehen der mündlichen Prüfung endete für den Kläger auch das Anwärterverhältnis zum 18.02.2010. Unstreitig und erwähnenswert ist schließlich, dass eine Einstellung des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Probe danach zunächst nicht, sondern erst zum 01. Oktober 2010 erfolgte. In der Zwischenzeit war der Kläger arbeitslos.

Der Kläger behauptet, dass die ursprüngliche Bewertung seiner Klausur im Fach „Betriebswirtschaftslehre“ falsch und objektiv fehlerhaft gewesen sei. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Zweitkorrektor seine Fehler eingesehen und seine Bewertung geändert habe. Es müsse deshalb von einer fahrlässigen Falschbewertung ausgegangen werden, die zum Schadensersatz verpflichte.

Der Kläger behauptet weiter, dass ihm durch die ursprüngliche Nichtzulassung zur mündlichen Prüfung und dem dadurch verspäteten Bestehen der Laufbahnprüfung gravierende finanzielle Schäden entstanden seien und zukünftig noch entstehen würden.

Regulär sei der Zeitraum für das Anwärterverhältnis des Klägers vom 01.10.2006 bis zum 30.09.2009 befristet gewesen. Ab dem 01.10.2009 wäre, bei anderer Bewertung seiner Leistungen, dann die Übernahme des Klägers in ein Beamtenverhältnis auf Probe möglich gewesen. Der Kläger behauptet, dass diese Übernahme nach fristgemäßer mündlicher Prüfung, die auch bestanden worden wäre, bereits am 01.10.2009 erfolgt wäre. Alle Anwärter des Ausbildungsganges des Klägers seien in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen worden und sogar Stellen bei verschiedenen Verwaltungsbehörden in Thüringen unbesetzt geblieben.

Der Kläger behauptet außerdem, dass durch die verspätete mündliche Prüfung im Februar 2001 für den Kläger nach Abschluss der Prüfung keine direkte Möglichkeit zum Berufseinstieg bestanden habe. Er habe trotz erheblicher Anzahl von Bewerbungen keine Anstellung finden können. Seine Einstellung beim Beklagten sei dann erst am 01.10.2010 erfolgt. Die Einkommenseinbußen für den genannten Zeitraum errechnet er auf EUR 18.614,05. Außerdem habe die verspätete Einstellung weitere, noch nicht bezifferbare materielle Schäden zur Folge, die mit der späteren Pensionierung, der anrechenbaren Dienstzeit und der Erlangung neuer Erfahrungsstufen und Bonuszahlungen zusammenhingen.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.614,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von 15 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2010 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die diesem durch den Bescheid des Thüringer Innenministeriums vom 28.08.2009 über das Ergebnis der schriftlichen Laufbahnprüfung des gehobenen nichttechnischen Dienstes in der stattlichen und kommunalen Verwaltung und der damit einhergehenden, mit einem Jahr Verzögerung erfolgten Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe, gerade im Hinblick auf Erfahrungsaufstiege, Dienstzeitjubiläen und Anrechnungszeiten bei der Pensionierung, entstehen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, eine vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühr in Höhe von 1.085,04 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Meinung, dass keine den Anspruch begründende Amtspflichtverletzung des Beklagten vorliege. Bei der ursprünglichen Bewertung der Klausur im Fach „Betriebswirtschaftslehre“ durch den Zweitkorrektor seien schuldhaft keine Amtspflichten verletzt worden. Die Bewertung von einzelnen Prüfungsleistungen könnte nicht als „richtig“ oder „falsch“ bezeichnete werden, da dem Prüfer bei seiner Beurteilung ein prüfungsrechtlicher Bewertungsspielraum zustehe.

Der Beklagte bestreitet außerdem, dass der Kläger bei sofortigem Bestehen der Prüfung zum 01.10.2009 ins Beamtenverhältnis übernommen worden wäre. Außerdem ist er der Ansicht, dass ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB auch deshalb ausgeschlossen sei, weil der Kläger versäumt habe, einen Primärrechtsschutz zu verfolgen. Dies könne nicht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nachgeholt oder korrigiert werden.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird – um Wiederholungen zu vermeiden – auf die eingereichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, selbst wenn sie vorstehend nicht vollständig wiedergegeben sind.

Entscheidungsgründe

Ein Anspruch aus § 839 BGB setzt voraus, dass ein Beamter schuldhaft Amtspflichten verletzt hat, ein Schaden hieraus entstanden ist und dieser Schaden nicht durch Einlegung eines Rechtsmittels abgewendet werden konnte. An all diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die ursprüngliche Bewertung seiner schriftlichen Prüfung im Fach „Betriebswirtschaftslehre“ durch den Zweitkorrektor objektiv falsch war. Dass der Zweitkorrektor als Beamter im Sinne des § 839 BGB tätig geworden ist, wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen. Richtig ist auch, dass er seine ursprüngliche Bewertung der Arbeit im Rahmen eines sogenannten Überdenkungsverfahrens geändert hat. Allein aus dieser Tatsache kann das Gericht jedoch nicht der Schlussfolgerung des Klägers beipflichten, dass schon hiermit die Fehlerhaftigkeit der Erstbewertung eingestanden wird.

Der Zweitkorrektor ist vielmehr im Rahmen eines Bewertungsspielraums bei einigen Teilpunkten der Anregung des Klägers in seinem Widerspruch vom 28.10.2009 gefolgt, um ihn in den Bereich der Noten zu bringen, die die Prüfung dann als bestanden gelten lassen. Er hielt dies trotz der geäußerten Bedenken offenbar für noch vertretbar. Die „kritische Sichtweise“, die er auch bei anderen Arbeiten als Bewertungsmaßstab angewandt hat, hat er damit teilweise aufgegeben. Der Inhalt des Neubewertungsschreibens des Zweitkorrektors … hinterlässt beim erkennenden Gericht den Eindruck, dass die Korrektur der Bewertung großzügig und entgegenkommend war. Der Erstkorrektor hat sich dem gegenüber von den Anregungen des Klägers nicht beeinflussen lassen. Er ist bei seiner Bewertung, die sich mit der des Zweitkorrektors deckte, geblieben.

Schon aus vorgenannten Gründen geht das Gericht nicht davon aus, dass zunächst eine schuldhafte Falschbewertung durch den Erstkorrektor vorgelegen hat. Auch dem Beweisantrag der Klägerseite, dies sachverständigenseits nochmals zu überprüfen, kann nicht gefolgt werden.

Zwar trifft es zu, dass sich auch Prüfungsentscheidungen wegen des den Prüfungsbehörden zustehenden Bewertungsspielraums nicht in einem rechtsfreien Raum bewegen; eine kritische Untersuchung der Bewertung ist allerdings nur dann möglich, wenn Verfahrensfehler begangen worden sind, anzuwendendes Recht verkannt, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen oder allgemeine Bewertungsmaßstäbe verletzt wurden. Gerade diese Fehler werden dem Zweitkorrektor allerdings – ebenso wie dem Erstkorrektor – nicht vorgeworfen. Damit erübrigt sich aber der Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens. Unzutreffend in diesem Zusammenhang ist im Übrigen die Rechtsauffassung des Klägervertreters, dass entsprechend einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fachwissenschaftliche Fragen nicht mehr dem Beurteilungsspielraum des Prüfers unterliegen sollen, sondern immer mit Sachverständigenhilfe auf ihre Vertretbarkeit zu prüfen wären. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 1 BvR 419/81) ergibt sich dies nicht. Der bestehende prüfungsrechtliche Bewertungsspielraum wird vielmehr grundsätzlich bestätigt, auch wenn das Ergebnis bei fachspezifischen und berufsbezogenen Prüfungen durch einen Sachverständigen kontrolliert werden kann (nicht muss).

Dass die Erstbewertung etwa von sachfremden Erwägungen beeinflusst gewesen sein soll, wird vom Kläger nicht behauptet.

Da das Gericht bereits nicht der Auffassung des Klägers beipflichten kann, dass die Neubewertung eines Teils seiner Arbeiten auf eine objektive Falschbeurteilung bei der Erstkorrektur zurückzuführen ist, kommt auch ein schuldhaftes Verhalten des Korrektors … nicht in Betracht. Auch im Rahmen des Tatbestandsmerkmals Ansprüche „vorsätzlich oder fahrlässig“ hätte klägerseits dargelegt werden müssen, gegen welche der oben genannten Beurteilungsmaßstäbe verstoßen worden sein soll. Dass Fehleinschätzungen des Korrektors nicht vorgelegen haben, die auch einem Fachkundigen als schlicht unhaltbar erscheinen müssen, beweist der Umstand, dass auch der Erstkorrektor bei seiner Bewertung mit dem des Zweitkorrektors übereingestimmt hat.

Die Abweichung der Zweitbewertung von der Erstbewertung ist im Übrigen äußerst gering. Nur weil der Kläger im Grenzbereich zweier Notenstufen lag, die über Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfung entschieden, hat sich die Neubewertung ausgewirkt. Der Kläger sollte nicht übersehen, dass seine Leistungen auch nach der Korrektur gerade noch „ausreichend“ für das Bestehen der Prüfungen waren.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass dem Kläger durch die ihm ungünstige Erstkorrektur auch kein Schaden entstanden ist. Das Bestehen der Laufbahnprüfung für den gehobenen nicht technischen Dienst in der staatlichen und kommunalen Verwaltung führt nicht automatisch zur Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe. Der Kläger hätte selbst dann keinen Rechtsanspruch auf Übernahme gehabt, wenn er die Prüfung sofort bestanden hätte. Neben der fachlichen Eignung müssen regelmäßig auch weitere subjektive Einstellungsvoraussetzungen vorliegen. Außerdem müssen freie Stellen zur Verfügung stehen, für die der Kläger geeignet ist. Immerhin blieb sein Prüfungsergebnis auch nach der Neubewertung bei „schwach ausreichend“. Der Kläger trägt zwar eine Vielzahl von möglichen offenen Stellen vor, jedoch ist damit seine Eignung für diese Stelle nicht sicher und eine mögliche Einstellung des Klägers nicht belegt. Zusagen für ein Anstellungsverhältnis des Klägers lagen objektiv nicht vor. Die Behauptung, dass praktisch jeder Bewerber unabhängig von seiner Benotung der Laufbahnprüfung eingestellt worden wäre, ist eine unbewiesene und unbeweisbare Unterstellung. Auch, dass er später in das Verhältnis auf Probe übernommen wurde, ist kein Beleg dafür.

Der Anspruch des Klägers müsste schließlich daran scheitern, dass er einen möglichen Primärrechtsschutz nicht angestrebt hat. Gegen die Nichtzulassung zur Prüfung hätte er in Anbetracht des eingelegten Widerspruchs gegen seine Bewertung ein Rechtsmittel einlegen können. Er hätte versuchen müssen, parallel zur Überprüfung seiner Bewertung, vorläufig zur mündlichen Prüfung zugelassen zu werden. Ein vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VWGO wäre möglich gewesen. Daneben wäre möglicherweise auch eine vorläufige personalwirtschaftliche Sicherung mit dem Ziel einer Einstellung in den Dienst des Beklagten vor dem 01.10.2010 zu erstreiten gewesen. Gerade im Prüfungsrecht und bei Prüfungsentscheidungen ist der einstweilige Rechtsschutz ein gängiges und mögliches Mittel zum Schutz subjektiver Rechte. Das Erstreben eines einstweiligen Rechtsschutzes wäre hier zwingend notwendig gewesen, um die Teilnahme an der mündlichen Prüfung zu erreichen. Das Unterlassen der Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes führt gemäß § 839 Abs. 3 BGB zum Ausschluss des Amtshaftungsanspruchs und verwehrt den Weg für den hier bestrittenen Sekundärrechtsschutz.

Die Nebenentscheidungen zu den Kosten und zur Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91 und 709 ZPO.

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